Instandsetzung von Massivbauten: Wissenschaftliche Grundlagen

_ von Harald S. Müller

 

Zusammenfassung

Die Erhaltung und Instandsetzung historisch bedeutsamer Betonbauwerke erfordert denkmalgerechte bauliche Maßnahmen. Dies bedeutet, dass ein größtmöglicher Erhalt der ursprünglichen Konstruktion bzw. ihres Erscheinungsbildes zu gewährleisten ist. Dennoch muss auch den heutigen Nutzerwünschen Rechnung getragen werden. Soweit technisch vertretbar, ist eine örtliche, auf lokale Schäden konzentrierte Instandsetzung zu bevorzugen. Voraussetzung hierfür sind detaillierte Bauwerksuntersuchungen, die eine sichere Abschätzung der Tragfähigkeit des Bauwerks und eine Prognose der Dauerhaftigkeit noch ungeschädigter Bauteile erlauben. Meist sind auf das Bauwerk abgestimmte Instandsetzungsmörtel oder Betone zu entwickeln, die neben einer optischen Angleichung an den Altbeton auch spezifische Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften zu erfüllen haben. Die Grundlagen der genannten Methoden und die Vorgehensweisen bei der denkmalgerechten Instandsetzung werden in diesem Beitrag behandelt. Zudem wird über Erfahrungen mit dieser Instandsetzungsart berichtet.

I. Einführung

Im vergangenen Jahrhundert ist Sichtbeton zu einem bedeutenden Gestaltungselement in der Architektur geworden. Das Aussehen zahlreicher Bauwerke wird hierdurch geprägt. Das dabei vom Architekten gewollte Erscheinungsbild geht jedoch verloren, wenn bei Maßnahmen zur Verbesserung der Dauerhaftigkeit oder bei der Instandsetzung von Beton- und Stahlbetonbauwerken die in Richtlinien und Vorschriften festgelegten Grundsatzlösungen unmittelbar umgesetzt werden. Ziel muss es daher sein, „behutsamere“ Wege der Betoninstandsetzung zu erschließen und, soweit technisch vertretbar, bei der Instandsetzung umzusetzen.

Vor nahezu 20 Jahren wurden vom Institut für Massivbau und Baustofftechnologie der Universität Karlsruhe (TH) gemeinsam mit Architekten und Denkmalpflegern erstmals modifizierte Wege der Betoninstandsetzung beschritten. Der dabei geprägte Begriff der „behutsamen“ Betoninstandsetzung verdeutlicht die Zielsetzung dieser durch einen weitgehenden Substanzerhalt gekennzeichneten Art der Instandsetzung. Sie erfuhr in den vergangenen Jahren eine stetige Weiterentwicklung. Heute steht die behutsame Instandsetzung, ohne zu konkurrieren, neben der „konventionellen“, durch großflächige und irreversible Beschichtungsmaßnahmen geprägten Art der Betoninstandsetzung, die bei hoch beanspruchten Ingenieurbauwerken oftmals unverzichtbar ist. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Grundlagen und den Kenntnisstand bei der behutsamen bzw. denkmalgerechten Betoninstandsetzung.

II. Betonschäden und ihre Ursachen

Betrachtet man Mängel und Schäden, die an Außenfassaden bzw. Sichtbetonoberflächen historisch bedeutender Beton- und Stahlbetonbauwerke überwiegend vorzufinden sind, so lassen sich im Wesentlichen fünf charakteristische Schadensbilder voneinander unterscheiden:

  • verwitterte und abgesandete Betonoberflächen,
  • flächige Beläge mineralischer oder organischer Natur,
  • hohlraumreiche Randzonen mit fehlender Feinmörtelmatrix,
  • Oberflächenrisse von unterschiedlicher Ausprägung,
  • abgeplatzte Betondeckung über korrodierter Bewehrung.

Hinzu kommen teilweise Risse in der Zugzone biegebeanspruchter Bauteile sowie durchgehende Risse als Folge von Zwängungen bzw. Verformungsunverträglichkeiten.

Die aufgeführten Veränderungen bzw. Schäden an Betonoberflächen sind an historischen Konstruktionen und an jungen Betonkonstruktionen oft gleichermaßen zu beobachten. Entscheidend für die Bewertung solcher veränderter oder nicht typischer Betonoberflächen ist die Einstufung des Bauwerks. Bei historischen Betonkonstruktionen wird man beispielsweise einen Bewuchs oder eine verwitterte Oberfläche vielfach als Teil des gewachsenen und damit zu bewahrenden Erscheinungsbildes ansehen. Instandsetzungsmaßnahmen sind in solchen Fällen nur dann vorzusehen, wenn die Veränderung der Betonoberfläche mit einer Beeinträchtigung der Dauerhaftigkeit, Gebrauchsfähigkeit oder Standsicherheit des Bauwerks einhergeht. Dies ist im Zuge einer gründlichen Bauwerksuntersuchung und Schadensanalyse zu klären.

Die Verwitterung von Betonoberflächen hat ihre Ursache im Wesentlichen in der Beanspruchung durch klimatische Einflüsse und Luftschadstoffe. Zu den maßgeblichen Mechanismen gehören wechselnde Eigenspannungszustände durch Temperatur- und Feuchtigkeitswechsel, Frost-Tau-Wechselbeanspruchungen sowie Lösungs- und Auslaugungsprozesse.

Beläge auf Betonoberflächen treten in Form von Ausblühungen, Verschmutzungen oder Bewuchs auf. Im Einzelnen können diese Erscheinungsformen auf komplexen Mechanismen beruhen, die teils physiochemischer und biochemischer Natur sind. Bei diesen Mechanismen spielt stets das Vorhandensein bzw. der Transport von Feuchtigkeit eine ursächliche Rolle.

Hohlraumreiche Randzonen, so genannte Kiesnester, beruhen auf einem Herstellungs- oder Verarbeitungsmangel des Betons und sind nur dann als Schaden einzustufen, wenn sie tiefreichend sind, die Tragfähigkeit beeinflussen oder durch die fehlende Dichtheit dieser Bereiche die Dauerhaftigkeit der Konstruktion bzw. der Korrosionsschutz der Bewehrung beeinträchtigt wird.

Die Oberflächenrissbildung ist meist die Folge von Eigenspannungen, die aus behinderter Schwind- oder Temperaturverformung der oberflächennahen Bereiche resultieren. In selteneren Fällen reichen die an der Oberfläche sichtbaren Risse tief in den Bauteilquerschnitt hinein (siehe Abbildung 1, links).

Abb. 1: Rissbildungen in einer Bauteilrandschicht als Folge von Eigenspannungen mit dadurch bedingten Ablösungen der aufgebrachten Lasur (links) und Absprengungen der Bauteilrandschicht als Folge korrodierender Bewehrung (rechts)

Abb. 1: Rissbildungen in einer Bauteilrandschicht als Folge von Eigenspannungen mit dadurch bedingten Ablösungen der aufgebrachten Lasur (links) und Absprengungen der Bauteilrandschicht als Folge korrodierender Bewehrung (rechts)

Das Abplatzen der Betondeckung über oberflächennaher, korrodierender Bewehrung infolge des Sprengdruckes, den die entstehenden Korrosionsprodukte bewirken (siehe Abbildung 1, rechts), gehört zu den häufigsten, insbesondere aber zu den gravierendsten Oberflächenschäden an historischen Stahlbetonbauwerken, weil hierdurch immer die Dauerhaftigkeit und nicht selten auch unmittelbar die Tragfähigkeit und Standsicherheit der Konstruktion beeinträchtigt werden. Der schadensauslösende Korrosionsvorgang am Bewehrungsstahl resultiert aus dem gleichzeitigen Ablauf eines anodischen, kathodischen und elektrolytischen Teilprozesses. Der anodische Teilprozess besteht in der Stahlauflösung an der Anode. Sie kann stattfinden, wenn die üblicherweise den Stahl schützende Passivschicht aus Eisenoxid durch die Anwesenheit von Chloriden oder die Karbonatisierung der Betondeckung zerstört wird. Der elektrolytische Teilprozess besteht in der Ionenleitung, die einen hinreichend hohen Wassergehalt des Betons erfordert. Der kathodische Teilprozess führt zur Oxidation des Eisens und erfordert dementsprechend ein ausreichendes Sauerstoffangebot am Stahl.

Abbildung 2 zeigt ein historisches Gebäude, an dem eine Vielzahl der beschriebenen Schädigungsmechanismen bzw. Schadensbilder gegeben war, die später, im Zuge einer behutsamen Instandsetzung, beseitigt worden sind.

Abb. 2: Wasserturm „Kavalier Dallwigk“ in Ingolstadt, erbaut 1916-17, vor der Instandsetzung. Der Sichtbeton zeigt, neben Moos- und Algenbewuchs, eine Vielzahl von Betonschäden, wie z. B. Rissbildungen als Folge von Zwang sowie Kantenabbrüche und Abplatzungen als Folge von Frost und korrodierender Bewehrung

Abb. 2: Wasserturm „Kavalier Dallwigk“ in Ingolstadt, erbaut 1916-17, vor der Instandsetzung. Der Sichtbeton zeigt, neben Moos- und Algenbewuchs, eine Vielzahl von Betonschäden, wie z. B. Rissbildungen als Folge von Zwang sowie Kantenabbrüche und Abplatzungen als Folge von Frost und korrodierender Bewehrung

An der Betonoberfläche sichtbare Schäden, insbesondere die Ausbildung von Rissen, können ihre Ursache auch in konstruktiven Mängeln oder aber einer erhöhten, nicht vorhergesehenen Beanspruchung haben. Für die Instandsetzung einer Betonoberfläche bzw. eines Betonbauwerks ist es in jedem Falle wichtig, die genaue Ursache eines Schadensbildes zu kennen, um künftigen Schädigungen nach der Instandsetzung wirksam begegnen zu können. Weitere Angaben zu typischen Schadensbildern an Betonoberflächen und deren Ursachen finden sich z. B. in [1].

III. Denkmalgerechte Betoninstandsetzung

III.1. Ziele und Merkmale

Bei einer behutsamen Betoninstandsetzung müssen technische Erfordernisse mit den zusätzlichen Anforderungen der Denkmalpflege in Einklang gebracht werden (Abbildung 3). Die Beseitigung von Schäden und Mängeln sowie die Wiederherstellung der Dauerhaftigkeit muss dabei folgenden maßgeblichen Randbedingungen genügen:

  • Minimierung der Eingriffe in die Bausubstanz,
  • Erhaltung des architektonischen und optischen Erscheinungsbildes des Bauwerks bzw. seiner Oberflächen in der ursprünglichen Art.

Somit kann lediglich das Instandsetzungsprinzip der örtlichen Ausbesserung (Prinzip R2), gegebenenfalls in Verbindung mit der Beschichtung der Bewehrung (Prinzip C), nach [2] zur Anwendung gelangen. Dabei wird man Imperfektionen der Betonoberfläche wie Kiesnester oder Lunker, aber auch einen Bewuchs, soweit technisch vertretbar bzw. sofern hieraus keine Schäden resultieren können, unverändert belassen.

Abb. 3: Anforderungen und Merkmale einer denkmalgerechten Betoninstandsetzung

Abb. 3: Anforderungen und Merkmale einer denkmalgerechten Betoninstandsetzung

Sinnvoll ist eine behutsame bzw. denkmalgerechte Instandsetzung und die damit einhergehende Vorgehensweise jedoch nur dann, wenn eine Prognose der künftigen Schadensentwicklung eine hinreichende Dauerhaftigkeit sowohl der lokal instand gesetzten als auch der nicht instand gesetzten Oberflächenbereiche erwarten lässt. Eine entsprechende Lebensdauerprognose ist also gleichermaßen Merkmal wie unverzichtbarer Bestandteil einer denkmalgerechten Instandsetzung (siehe Abschnitt 3.4). Die erforderliche Lebensdauerprognose verlangt eine detaillierte Bauwerksuntersuchung, die im Umfang deutlich über das übliche Maß an Voruntersuchungen bei konventionellen Betoninstandsetzungen hinausgeht (siehe Abschnitte 3.2 und 3.3).

Während bei konventionellen Instandsetzungen, die unter Einsatz ganzflächiger Beschichtungen erfolgen, im Rahmen der weiteren Bauunterhaltung wiederum ganzflächige Maßnahmen zur Ertüchtigung bzw. Erneuerung der Beschichtung notwendig werden, können sich Reparaturmaßnahmen an behutsam instand gesetzten Oberflächen auf die im Zuge der Alterung ggf. vereinzelt neu entstandenen Schäden bzw. Schadensbereiche beschränken.

Verschiedene spezifische Merkmale weist auch die Ausführung einer denkmalgerechten Instandsetzung auf. Hierzu gehören beispielsweise die Entwicklung speziell auf das Bauwerk abgestimmter Instandsetzungsmörtel oder -betone, ihre spezifische Verarbeitung sowie die Oberflächenbearbeitung der reprofilierten Bereiche (siehe hierzu Abschnitte 3.5 und 3.6).

III.2. Bauwerksuntersuchung

Die Bauwerksuntersuchung lässt sich in einen baugeschichtlichen, einen statisch-konstruktiven und einen materialtechnologischen Abschnitt gliedern. Die materialtechnologischen Untersuchungen müssen Ergebnisse in Bezug auf die in Tabelle 1 genannten Punkte liefern, denen bei üblichen Betoninstandsetzungen meist nur sehr begrenzt nachgegangen wird. Hierdurch wird ein repräsentatives Eigenschaftsprofil des instandzusetzenden Bauwerksbetons gewonnen, was auch für die sachgerechte Wahl bzw. die Entwicklung eines geeigneten Instandsetzungsmörtels von wesentlicher Bedeutung ist.

– Art, Umfang und Lage der Schäden
– Lage und Größe oberflächlich schadensfreier Bauwerksbereiche
– Korrosion und Korrosionsschutz der Bewehrung in den oberflächlich nicht
oder nur wenig geschädigten Bauwerksbereichen
– Korrosionsfortschritt in den derzeit nicht oder nur wenig geschädigten
Bauwerksbereichen
– Textur und Abwitterungszustand der Betonoberfläche
– Eigenschaften des Betons, u. a.:
– Druck- und Zugfestigkeit
– E-Modul
– Feuchteleit- und Speicherfähigkeit (Feuchtehaushalt)
– Bindemittel und Mischungsverhältnis
– Farbe der Mörtelmatrix
– Art, Farbe und Sieblinie der Zuschlagstoffe

Tab. 1: Wichtige Punkte der Voruntersuchungen bei behutsamen Betoninstandsetzungen

Die Bauwerksuntersuchung muss sich auf alle für das Bauwerk repräsentativen Bereiche erstrecken und die in Tabelle 2 angegebenen Versuche bzw. Untersuchungen am Bauwerk oder an aus dem Bauwerk entnommenen Proben umfassen.

– Erfassung des Erscheinungsbildes der Betonoberfläche
– Messung der Karbonatisierungstiefe des Betons
– Ermittlung der Schadstoffbelastung des Betons, z. B. Chloride
– Messung der Betondeckung der Bewehrung
– Beurteilung des Gefüges und der Kapillarporenstruktur der
Betondeckungsschicht
– Durchführung von Saug- und Trocknungsversuchen am Beton
– Ermittlung der Stabdurchmesser der Bewehrung
– Ermittlung der Bewehrungsführung und des Bewehrungsgrades
– Überprüfung von Art und Umfang der Bewehrungskorrosion
– Beurteilung des Mikroklimas im Bauteilbereich
– Chemische / physikalische / mineralogische Analysen
– Prüfung der Festigkeits- und Verformungseigenschaften von Beton und Stahl
– Erkundung der Ursache statisch-konstruktiv bedingter Schäden

Tab. 2: Experimentelle Untersuchungen am Bauwerk und an Bauwerksproben

 

Die in Tabelle 2 aufgeführten Untersuchungen, deren Methodik weitgehend in [3] beschrieben wird, sind die Grundlage der Beurteilung der Dauerhaftigkeit bisher noch wenig geschädigter Bereiche sowie der Festlegung der Instandsetzungsmaßnahmen. Ein Teil der in den Tabellen 1 und 2 genannten Untersuchungspunkte und Untersuchungen ist zudem für die statisch-konstruktive Beurteilung der Konstruktion unverzichtbar. Diese Beurteilung erfordert auch das Studium alter Konstruktionspläne, soweit diese noch vorhanden sind, sowie weitergehende Untersuchungen, die Aufschluss über Lasten, angenommene Tragsysteme bzw. lastbedingte Änderungen der Tragwirkungen und ggf. über die Möglichkeiten einer Verstärkung geben.

Gerade in Bezug auf die Beurteilung des Tragverhaltens historischer Konstruktionen oder im Hinblick auf die Erfassung vorliegender klimatischer Beanspruchungen und deren Auswirkung ist der Einsatz moderner numerischer Analysemethoden oftmals von großem Nutzen. So lassen sich beispielsweise neben der numerischen Simulation des thermisch-hygrischen Verhaltens des Bauteilbetons mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode die Kraftflüsse in Konstruktionen, aber auch temperatur- und feuchtebedingte Verformungen und Spannungen, wirklichkeitsnah erfassen.

Die erforderliche qualitative und quantitative Erfassung des Erscheinungsbildes der Betonoberflächen (siehe Tabelle 2) erlaubt deren Reproduktion in den nicht original zu erhaltenden Bereichen. Die dazu notwendigen Untersuchungen gliedern sich in drei Abschnitte:

  • Aufmaß der Oberflächentextur, die z. B. durch strukturierte Schalungen oder durch eine steinmetzmäßige Bearbeitung architektonisch wirkend hergestellt wurde,
  • Aufmaß der Abwitterungen, die im Verlauf der Alterung der Oberflächen eingetreten sind und nun ebenfalls zum Erscheinungsbild der Gesamtfläche beitragen,
  • Analyse der Farbigkeit und Helligkeit der Betonoberfläche.

Die Analyse und Beschreibung der Farbigkeit und Helligkeit der Betonoberfläche ist mit Hilfe der bekannten Methoden und Gesetze der Farbmetrik durchzuführen. Untersuchungen am Institut für Massivbau und Baustofftechnologie der Universität Karlsruhe haben gezeigt, dass durch die Anwendung der Gesetze der Farbmetrik in Kombination mit den Möglichkeiten der modernen digitalen Bilderfassung Farbanalysen an Betonen schnell und mit der erforderlichen Genauigkeit möglich sind. Die entwickelte Messtechnik eignet sich insbesondere auch zur Reproduktion von Färbungen bei Instandsetzungsmörteln oder -betonen [4].

III.3. Beurteilung der Standsicherheit

Die Beurteilung der Standsicherheit erfolgt auf der Grundlage der Ergebnisse der Bauwerksuntersuchungen und der Konzepte in einschlägigen Richtlinien (insbesondere DIN 1045). Die dort gegebenen Nachweisformate können oftmals aber nicht zielführend angewandt werden. In diesen Fällen sind weitergehende statische Überlegungen bis hin zu numerischen Untersuchungen und ggf. auch Belastungsversuche durchzuführen, um entweder die Tragfähigkeit bzw. Standsicherheit nachweisen oder Verstärkungsmaßnahmen planen zu können.

Je nach Bauwerk und den örtlichen Gegebenheiten, z. B. bei historischen Betonbrücken, sind auch sicherheitstheoretische bzw. entsprechende probabilistische Analysen in Anlehnung an einschlägige Vorschriften vorzunehmen. Bezogen auf historische Gebäude aus Beton bzw. Stahlbeton zeigen die gewonnenen Erfahrungen, dass in der Mehrzahl der Fälle eine ausreichende Tragfähigkeit vorhanden ist und auch langfristig sichergestellt werden kann, sofern der meist vorzufindende Korrosionsfortschritt an der Bewehrung unterbunden wird, siehe [5].

III.4. Beurteilung der Dauerhaftigkeit und Lebensdauerprognose

III.4.1. Grundlagen und Prinzipien

Beruht die allmähliche Zerstörung einer Betonoberfläche allein auf Verwitterungsprozessen, so kann eine hinreichend genaue Abschätzung des künftig zu erwartenden Oberflächenabtrags bzw. Schadenszuwachses meist recht einfach unter Verwendung von Potenzgesetzen gewonnen werden, die eine Materialveränderung oder-schädigung zutreffend zu beschreiben vermögen. Diese sind unter Berücksichtigung der am Bauwerk gegebenen Randbedingungen aufzustellen.

Schwieriger ist die Prognose der Dauerhaftigkeit bezüglich der Korrosion der oberflächennahen Bewehrung. Dies gilt sowohl für Oberflächenbereiche, die im ursprünglichen Zustand belassen werden, als auch für jene, in denen eine örtliche Instandsetzung erfolgt, weil unter ungünstigen Umständen hierdurch korrosionsfördernde Bedingungen in den angrenzenden Bereichen geschaffen werden können (Makroelementkorrosion).

An der oberflächennahen Bewehrung historischer Betonkonstruktionen liegt praktisch immer ein für die Korrosion ausreichendes Sauerstoffangebot am Stahl vor. Die Zerstörung der Passivschicht ist bei diesen Bauwerken nur selten auf lokal vorhandene oder eingetretene Chloride, sondern auf die Karbonatisierung der Randzone infolge ungenügender Betondeckung und/oder geringer Betonqualität zurückzuführen. Daher beruht eine Abschätzung der künftig zu erwartenden Korrosion auf der Erfassung und Prognose des Karbonatisierungsfortschrittes in Verbindung mit dem Feuchtehaushalt bzw. den Voraussetzungen für die Bewehrungskorrosion am betrachteten Bauteil.

 Abb. 5: Schematische Darstellung der zeitlichen Entwicklung der Karbonatisierung des Betons – Mittelwerte und Streubereiche der Karbonatisierungstiefe dC und der Betondeckung dD. Formeln: pf = Versagens-wahrscheinlichkeit;  = statistische Funktion; σ = Standardabweichung; t = Zeit; α = Konstante

Abb. 5: Schematische Darstellung der zeitlichen Entwicklung der Karbonatisierung des Betons – Mittelwerte und Streubereiche der Karbonatisierungstiefe dC und der Betondeckung dD. Formeln: pf = Versagens-wahrscheinlichkeit; σ = Standardabweichung; t = Zeit; α = Konstante

Entsprechend der schematischen Darstellung in Abbildung 5 kann aus Untersuchungen zur Karbonatisierung des Betons und zur Qualität der Betonrandzone unter Berücksichtigung des lokalen Mikroklimas der zeitliche Verlauf der Karbonatisierungstiefe anhand einfacher Beziehungen abgeschätzt und extrapoliert werden [4]. Unter Verwendung der bei den Bauwerksuntersuchungen ebenfalls erfassten Werte der Betondeckung lässt sich aus dem vorhandenen Überschneidungsbereich der beiden Häufigkeitsverteilungen ein Maß für die Häufigkeit verloren gegangener Passivierung der oberflächennahen Bewehrung abschätzen. Das ermittelte Ergebnis ist mit dem in den Voruntersuchungen erfassten Umfang der Bewehrungskorrosion zu korrelieren bzw. gemeinsam zu beurteilen und für die Dauerhaftigkeitsprognose zu bewerten.

Selbst bei fehlender Passivierung des Bewehrungsstahls und vorhandenem Sauerstoffangebot wird eine nennenswerte Korrosion der Bewehrung aber erst dann einsetzen, wenn der Feuchtegehalt im Beton hinreichend hoch ist. Andererseits kommt die Korrosion bei sehr hohen Feuchtegehalten zum Stillstand, weil dann der Sauerstoffnachschub zur Kathode unterbunden wird. Daher sind größere Korrosionsraten nur dann zu erwarten, wenn eine relative Feuchtigkeit im Beton von mindestens 85 %, aber weniger als 100 % vorherrscht [6]. Besonders günstige Korrosionsbedingungen liegen vor, wenn Wasser periodisch auf den Beton einwirken kann, wie dies bei Schlagregenereignissen oder wiederkehrenden Kondensatbeaufschlagungen der Fall ist.

Abb. 6: Schematische Darstellung des Feuchtegehalts von Beton in Abhängigkeit von der Entfernung von der Betonoberfläche bei einem frei bewitterten Betonbauteil; rechts oben: schematische Darstellung der Korrosionswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Feuchtegehalt. Formel: Ф = Feuchtepotenzial; cF, kF = Materialkennwerte; t = Zeit; x = Ortskoordinate (Entfernung von Betonoberfläche)

Abb. 6: Schematische Darstellung des Feuchtegehalts von Beton in Abhängigkeit von der Entfernung von der Betonoberfläche bei einem frei bewitterten Betonbauteil; rechts oben: schematische Darstellung der Korrosionswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit vom Feuchtegehalt. Formel: Ф = Feuchtepotenzial; cF, kF = Materialkennwerte; t = Zeit; x = Ortskoordinate (Entfernung von Betonoberfläche)

Abbildung 6 zeigt schematisch den Feuchtegehalt des Betons in Abhängigkeit von der Tiefe unter der Betonoberfläche für ein frei bewittertes Betonbauteil. Veränderliche Feuchtegehalte infolge der Bewitterung treten in Abhängigkeit von der Betonqualität und dem Feuchteangebot oftmals nur relativ nahe der Oberfläche auf. In tieferen Bereichen kann der Feuchtegehalt unter den für die Stahlkorrosion erforderlichen Wert absinken. Daher ist auch in der Praxis an frei bewitterten Oberflächen häufig zu beobachten, dass trotz tiefgreifender Karbonatisierung keine Korrosion depassivierter Bewehrung vorhanden ist.

Für die Prognose der Dauerhaftigkeit der Betonrandzone müssen folglich die einzelnen Einflussparameter Betondeckung, Karbonatisierungstiefe und relative Feuchtigkeit in Abhängigkeit von der Tiefe unter der bewitterten Betonoberfläche korreliert werden. Zusammenfassend gilt, dass eine Korrosionswahrscheinlichkeit für den Bewehrungsstahl erst dann gegeben ist, wenn am Stahl die Depassivierungswahrscheinlichkeit und die Wahrscheinlichkeit für einen korrosionsauslösenden Feuchtegehalt gemeinsam vorliegen (siehe hierzu auch Abschnitt 3.4.2).

Im Zuge der Abschätzung der Korrosionswahrscheinlichkeit und möglicherweise zukünftig auftretender Schäden sind noch einige weitere Aspekte zu berücksichtigen. So besteht zwischen dem Karbonatisierungsfortschritt und dem Feuchtegehalt des Betons eine Wechselbeziehung, die auch von der Zusammensetzung des Betons abhängt. Im Weiteren führen die Korrosion der Bewehrung und die mit den Korrosionsprodukten entstehenden Sprengdrücke nur dann zu Schäden an der Betonoberfläche, wenn gewisse geometrische und elektro-chemische Voraussetzungen gegeben sind, wie z. B. das Unterschreiten eines Verhältniswertes aus Betondeckung zu Stabdurchmesser sowie eine begrenzte Mobilität der Korrosionsprodukte.

Wie bereits oben dargelegt, kommt bei der behutsamen Instandsetzung vor allem das Prinzip R2 nach [2] zur Anwendung. Sofern es geometrische und optische Gegebenheiten in der Praxis nicht erlauben, den Instandsetzungsmörtel in ausreichender Dicke aufzutragen, muss zur Gewährleistung einer langfristigen Dauerhaftigkeit zusätzlich ein stahlbaumäßiger Korrosionsschutz entsprechend dem Prinzip C vorgesehen werden. Da man auf eine abschließende Dünnbeschichtung der Oberflächen mit Rücksicht auf das Erscheinungsbild verzichtet, ist unter den genannten Bedingungen einer möglichen Makroelementbildung am Bewehrungsstahl besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ein solches Korrosionselement kann auftreten, wenn eine depassivierte Bewehrung bei der Instandsetzung nur bereichsweise durch alkalischen Mörtel passiviert oder durch eine Beschichtung korrosionsgeschützt wird. Bei korrosionsfördernden Bedingungen können hohe Korrosionsraten insbesondere dann entstehen, wenn das Flächenverhältnis Kathode/Anode groß ist. Hinweise zur Begegnung dieser Problematik und weitere Angaben finden sich in [4].

Aus den obigen Ausführungen wird deutlich, dass die Bewehrungskorrosion je nach Lage eines Bauteils und der örtlichen Gegebenheiten am selben Bauwerk sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Gleichermaßen unterschiedlich ist dann das Ausmaß bzw. Risiko eines künftigen Korrosionsfortschritts. Zudem können an verschiedenen Bauteilen unterschiedliche Schädigungsprozesse, z. B. Bewehrungskorrosion, Frost- und Verwitterungsschäden, einzeln oder auch in Kombination auftreten (siehe Abbildung 7). Eine realistische Lebensdauerprognose für ein Bauwerk muss diese „heterogene“ Ausgangssituation sowie das Zusammenwirken der einzelnen Bauteile berücksichtigen.

Abb. 7: Lebensdauerprognose bzw. (Kosten-)Risikoanalyse für einen Kirchturm mit verschiedenen Betonschäden; links: Systemanalyse bzw. Systemkomponenten (Bauteile) des Kirchturms; rechts, oben: Schädigungsarten der einzelnen Bauteile; rechts, Mitte und unten: Elemente einer (Kosten-)Risikoanalyse

Abb. 7: Lebensdauerprognose bzw. (Kosten-)Risikoanalyse für einen Kirchturm mit verschiedenen Betonschäden; links: Systemanalyse bzw. Systemkomponenten (Bauteile) des Kirchturms; rechts, oben: Schädigungsarten der einzelnen Bauteile; rechts, Mitte und unten: Elemente einer (Kosten-)Risikoanalyse

Die Lebensdauerprognose für das Gesamtbauwerk, die ja insbesondere der Abschätzung eines künftigen Instandsetzungs- bzw. Unterhaltsaufwands dient, erfordert bauteilbezogen vor allem:

  • die Kenntnis der maßgebenden Schädigungs-Zeitgesetze (Modelle) einschließlich der Quantifizierung der Modellparameter (Bauwerks- und Laboruntersuchungen) und ihrer statistischen Eigenschaften,
  • die Festlegung der vorgesehenen Nutzungsdauer der Konstruktion bzw. des Bauteils und der Grenzzustände in Abhängigkeit von den Schädigungsprozessen sowie die Festlegung der zulässigen Versagenswahrscheinlichkeit,
  • die Berechnung der vorhandenen Versagenswahrscheinlichkeit bzw. der Restnutzungsdauer

und im Weiteren, unter Betrachtung der Kombination der Bauteile, also des Gesamtbauwerks,

  • die Durchführung einer Systemanalyse, die eine Systembeschreibung, die Ausfalleffektanalyse und die Fehlerbaumanalyse enthält,
  • die Quantifizierung des (Kosten-)Risikos aus der systemadäquaten Kombination der Versagenswahrscheinlichkeiten der einzelnen Systemelemente.

Dank der erheblichen wissenschaftlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Modellierung von Schädigungsprozessen in jüngster Vergangenheit sowie der Verfügbarkeit der erforderlichen statistischen Softwarepakete können heute Lebensdauerprognosen zuverlässig aufgestellt werden. Detaillierte Angaben zur Methodik von Lebensdauerprognosen und weitere Literaturangaben sind z. B. in [7] enthalten.

III.4.2. Anwendung in der Praxis

Im Folgenden soll die praktische Umsetzung einer Lebensdauerprognose aufgezeigt werden. Hierbei wird exemplarisch die Fassade eines denkmalgeschützten Gebäudes betrachtet, die eine mit den Jahren zunehmende Schädigung durch karbonatisierungsinduzierte Bewehrungskorrosion erfährt. Die zentrale, im Vorfeld der Instandsetzung zu klärende Frage ist, ob der nach 100 Jahren in den heute nicht instand zu setzenden Bereichen zu erwartende Schadenszuwachs innerhalb einer bestimmten Grenze bleibt. Nur unter dieser Voraussetzung ist ja die Durchführung einer behutsamen Instandsetzung sinnvoll.

Die zur Beantwortung dieser Fragestellung durchzuführenden Analysen werden sicherlich ungewohnt erscheinen, da sie innovativ sind und in der Praxis heute noch nicht verbreitet Anwendung finden. Allerdings ist die dargestellte Vorgehensweise unverzichtbar, wenn ingenieurmäßige, quantitative Nachweise erarbeitet bzw. vorgelegt werden sollen. Die nachfolgend angegebenen Kennwerte und Analysenergebnisse wurden einer tatsächlich für ein Bauwerk durchgeführten Lebensdauerprognose entnommen.

Quantifizierung der relevanten Kennwerte

Das hier exemplarisch betrachtete Bauwerk wies zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Alter von 35 Jahren auf. Im Zuge der Voruntersuchungen wurden an allen Fassaden in einer für statistische Auswertungen ausreichenden Anzahl Werte der Betondeckung der Bewehrung und der Karbonatisierungstiefe des Betons ermittelt. Ferner wurde auf der Basis entsprechender Untersuchungsergebnisse der Feuchtehaushalt der Fassadenflächen numerisch beschrieben. Auf nähere Angaben hierzu kann in diesem Rahmen verzichtet werden.

Die gewonnenen Messwerte der Betondeckung dD sowie der Karbonatisierungstiefe dK(t = 35 Jahre) können im Grundsatz mit der Normalverteilung N, der Lognormalverteilung LN und der Betaverteilung B beschrieben werden. Die entsprechende Auswertung der genannten Messwerte kann mit Hilfe des Programmpakets STRUREL (STATREL) [13] erfolgen. Hierbei handelt es sich um eine kommerzielle Software.

 Abb. 8 (links): Darstellung der an die ermittelten Messwerte der Betondeckung dD angepassten Verteilungen (Südwestfassade) Abb. 9 (rechts): Darstellung der an die ermittelten Messwerte der Karbonatisierungstiefe dK(t = 35 Jahre) angepassten Verteilungen (Südwestfassade)

Abb. 8 (links): Darstellung der an die ermittelten Messwerte der Betondeckung dD angepassten Verteilungen (Südwestfassade)
Abb. 9 (rechts): Darstellung der an die ermittelten Messwerte der Karbonatisierungstiefe dK(t = 35 Jahre) angepassten Verteilungen (Südwestfassade)

Die Abbildungen 8 und 9 zeigen die Ergebnisse der Auswertung bzw. die verschiedenen Verteilungsfunktionen für den Messwert Betondeckung dD und den Messwert Karbonatisierungstiefe dK(t) zum Untersuchungszeitpunkt t = 35 Jahre. Man erkennt, dass sich die Verteilungsfunktionen für die Karbonatisierungstiefe deutlich stärker voneinander unterscheiden. Daher wird für die nachfolgende Zuverlässigkeitsanalyse die Betondeckung dD mit einer Betaverteilung und die Karbonatisierungstiefe dK(t) alternativ mit allen drei oben genannten Verteilungstypen modelliert.

Prognose der Depassivierung

Die Dauerhaftigkeitsprognose soll für einen Bezugszeitraum von 100 Jahren durchgeführt werden. Konkret bedeutet dies, dass der Schadensumfang nach einer Zeitspanne bzw. Nutzungsdauer von 100 Jahren abzuschätzen ist. Dabei ist der Schadensumfang eine probabilistische Größe, also eine Versagenswahrscheinlichkeit P. Der für die Nutzungsdauer von 100 Jahren errechnete Wert für P soll eine festlegte Größe, d. h. einen Grenzzustand nicht überschreiten, der als die zulässige Versagenswahrscheinlichkeit bezeichnet wird. Diese Festlegung nimmt bei historischen Betonkonstruktionen i. d. R. der Bauherr vor. Dabei werden vor allem die Vertretbarkeit des sich mit der Zeit entwickelnden Schadensbildes und die zu erwartenden Unterhaltungskosten berücksichtigt.

Im hier betrachteten Beispiel sei festgelegt, dass nach 100 Jahren eine Versagenswahrscheinlichkeit P von ca. 2,3 % nicht überschritten werden soll. Dies ist gleichbedeutend mit der Forderung, dass sich nach 100 Jahren nicht mehr als ca. 2,3 % der Bewehrung im depassivierten Bereich befinden darf. Die Depassivierung wird zunächst also als „Versagen“ aufgefasst, obwohl sie für sich alleine noch kein Versagen bzw. keine Schädigung darstellt.

Die Versagenswahrscheinlichkeit P kann in einen so genannten Zuverlässigkeitsindex β umgerechnet werden, der für P ≈ 2,3 % gerade den Wert β = 2 annimmt. Es ist üblich, bei Lebensdauerprognosen stets den Zuverlässigkeitsindex zu betrachten, wie dies auch im Folgenden geschieht (siehe Abbildung 10). Diese Größe wird z. B. auch in DIN-Normen für bestimmte Beanspruchungen und Bezugszeiträume festgelegt. Für weitere Informationen hierzu sei auf die Quelle [7] verwiesen.

Die Analyse der Versagenswahrscheinlichkeit bzw. des zeitlichen Verlaufs des Zuverlässigkeitsindexes erfolgt ebenfalls mit der Software STRUREL [13]. Dabei gehen die örtlichen klimatischen Randbedingungen, die Betoneigenschaften und die Betondeckung als wichtige Parameter ein. Die entsprechende Berechnung ergibt für die Südwestfassade des betrachteten Gebäudes zum Zeitpunkt t = 100 Jahre im ungünstigsten Fall einen Zuverlässigkeitsindex von β = 1,4, was einer Versagenswahrscheinlichkeit P von ca. 9 % entspricht, siehe Abbildung 10, Kurve B/LN. Der geforderte Zuverlässigkeitsindex β von 2,0 wird zum Zeitpunkt t = 100 Jahre für alle drei Betrachtungsfälle unterschritten. Dies bedeutet, dass stets vor dem Erreichen der vorgesehenen Nutzungsdauer des Bauteils bzw. der Fassade der Grenzzustand „Karbonatisierungsfront erreicht die Bewehrung“ (kurz mit „K“ bezeichnet) eintreten wird.

Abb. 10: Zeitliche Verläufe der grenzzustandsbezogenen Bauteilzuverlässigkeit für den definierten Versagensfall „K“ = „Karbonatisierungsfront erreicht die Bewehrung“ unter der Annahme einer B-Verteilung für die Betondeckung sowie einer LN-, N- und B-Verteilung für die Karbonatisierungstiefe (LN = Lognormalver-teilung, N = Normalverteilung, B = Betaverteilung)

Abb. 10: Zeitliche Verläufe der grenzzustandsbezogenen Bauteilzuverlässigkeit für den definierten Versagensfall „K“ = „Karbonatisierungsfront erreicht die Bewehrung“ unter der Annahme einer B-Verteilung für die Betondeckung sowie einer LN-, N- und B-Verteilung für die Karbonatisierungstiefe (LN = Lognormalver-teilung, N = Normalverteilung, B = Betaverteilung)

Die Darstellung der Berechnungsergebnisse in Abbildung 10 zeigt, dass die statistische Modellierung – ob also eine LN-, B- oder N-Verteilung für die Karbonatisierungstiefe angesetzt wird – einen erheblichen Einfluss auf die zu ermittelnde Restlebensdauer ausübt. Dieses Ergebnis belegt damit auch, dass ein ausreichender Untersuchungsumfang notwendig ist, um die genannten statistischen Kenngrößen hinreichend zuverlässig bestimmen zu können.

Wie eingangs dargelegt, handelt es sich bei den obigen Berechnungsergebnissen nur um die Prognose der Depassivierung, also um die Abschätzung des Umfangs des Grenzzustands „Karbonatisierungsfront erreicht die Bewehrung“. Dieser Zustand führt, wie in Abschnitt 3.4.1 erläutert, alleine noch nicht zu einer Bewehrungskorrosion. Hierzu müssen weitere Randbedingungen erfüllt sein, wie nachfolgend dargelegt wird.

Prognose der Bewehrungskorrosion

Die Bewehrungskorrosion wird mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nur dann eintreten, wenn an der Stahloberfläche die Karbonatisierungswahrscheinlichkeit und die Wahrscheinlichkeit für einen korrosionsauslösenden Feuchtegehalt gemeinsam vorliegen. Dieser Zustand wird als Versagensfall „K+F“ definiert. Von einem zumindest zeitweise für die Bewehrungskorrosion ebenfalls notwendigen, ausreichenden Sauerstoffangebot am oberflächennahen Bewehrungsstahl muss bei Stahlbetonbauteilen im Allgemeinen ausgegangen werden.

Neben den oben getroffenen Annahmen für die Karbonatisierung muss also zusätzlich die Auftretenswahrscheinlichkeit eines für die Korrosion günstigen Feuchtegehaltes von 85 % bis 98 % in einer Bauteiltiefe von c = 25 mm (entspricht etwa dem Mittelwert der Betondeckung) ermittelt werden, siehe auch Abbildung 6. Diese Wahrscheinlichkeit errechnet sich für die Südwestfassade des Gebäudes, also unter Berücksichtigung der klimatischen Bedingungen und der örtlich vorliegenden Betoneigenschaften, zu PFeuchte = 27 %.

Unter Verwendung der Terminologie der Wahrscheinlichkeitstheorie lässt sich die Gesamtwahrscheinlichkeit für das Auftreten von Bewehrungskorrosion PKorr unter Verwendung der Wahrscheinlichkeiten für die Karbonatisierung PKarbo und der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten korrosionsauslösender Feuchtigkeitsgehalte PFeuchte wie folgt ausdrücken: PKorr (PKarbo ∩ PFeuchte).

Abb. 11: Zeitliche Verläufe der grenzzustandsbezogenen Bauteilzuverlässigkeit für den Versagensfall „K+F“ (LN = Lognormalverteilung, N = Normalverteilung, B = Betaverteilung)

Abb. 11: Zeitliche Verläufe der grenzzustandsbezogenen Bauteilzuverlässigkeit für den Versagensfall „K+F“ (LN = Lognormalverteilung, N = Normalverteilung, B = Betaverteilung)

Die Berechnung der Korrosionswahrscheinlichkeit PKorr für die oberflächennahe Bewehrung der Gebäudefassade erfolgt wiederum mit dem Programm STRUREL (SYSREL) [13]. Aus dem in der Abbildung 11 dargestellten Berechnungsergebnis geht hervor, dass der geforderte Zuverlässigkeitsindex β von 2,0 zum Zeitpunkt t = 100 Jahre für den Versagensfall „K+F“ bei keinem der drei Berechnungsfälle unterschritten wird. Für das Beispiel der Südwestfassade des Gebäudes ist demnach zu folgern, dass bis zum Ende der geplanten Nutzungsdauer von 100 Jahren im ungünstigsten Fall mit einer Korrosionswahrscheinlichkeit (Schadensumfang) von rund 2 % zu rechnen ist.

Diese Betrachtungen verdeutlichen, dass nur ein kleiner Anteil der depassivierten Bewehrung während relevanter Zeiträume überhaupt nennenswert korrodieren kann. Die übliche und pauschalisierende Annahme, wonach depassivierte Bewehrung in bewitterten Betonrandzonen zwangsläufig korrodiert, ist also nicht zutreffend. Vielmehr zeigt sich, unter Einbeziehung aller o. g. Bedingungen, dass die überwiegende Mehrzahl aller Bewehrungsstäbe, d. h. der größte Teil der betrachteten Bauteiloberfläche (Südfassade), während der gesamten Nutzungsdauer des Bauwerks keinem Risiko durch Bewehrungskorrosion unterliegt. Ähnliche Ergebnisse konnten im Übrigen auch für die anderen Fassadenbereiche des für diese Beispielrechnung herangezogenen Gebäudes ermittelt werden.

Fazit aus den durchgeführten Zuverlässigkeitsanalysen

Zusammenfassend zeigen die oben dargestellten Zuverlässigkeitsanalysen, dass eine Abschätzung der Restnutzungsdauer von Stahlbetonbauteilen bzw. -bereichen für dauerhaftigkeitsrelevante Schädigungsarten durch probabilistische Methoden ermöglicht wird. Dabei gibt es keine Alternative zu dieser Herangehensweise. Die Probabilistik bzw. das Rechnen mit statistischen Größen ist in diesem Zusammenhang also ein unverzichtbares, gut entwickeltes „Werkzeug“, ähnlich anderen theoretisch-numerischen Werkzeugen bzw. Rechenmodellen, die auf dem Gebiet der Tragwerksanalyse oder der Beschreibung von Stofftransportvorgängen im Ingenieurbau heute selbstverständlich eingesetzt werden. Im Unterschied zum Rechnen mit den letztgenannten Modellen ist die probabilistische Analyse dem Ingenieur bisher noch wenig vertraut.

Wie aus dem betrachteten Beispiel der Südfassade eines historischen Bauwerks deutlich wird, sind eingehende Bauwerksuntersuchungen, die Verwendung geeigneter Schädigungs-Zeit-Gesetze und die statistische Quantifizierung und Modellierung der zugehörigen Parameter sowie die Anwendung experimenteller und numerischer Methoden die wesentlichen Elemente einer realistischen und präzisen Lebensdauerprognose.

Hier wurde exemplarisch die Lebensdauerprognose nur für die im ursprünglichen Zustand zu belassenden Fassadenoberflächen durchgeführt. Selbstverständlich wird man jedoch auch die Lebensdauer der instand gesetzten Bereiche bewerten bzw. entsprechend wählen. Die dabei einzuschlagende Vorgehensweise ist im Prinzip analog zur dargestellten, erfordert meist aber einen geringeren Aufwand.

III.5. Instandsetzungsmörtel und -beton

Da der Instandsetzungsmörtel bzw. -beton mit keiner Materialschicht überzogen wird, müssen seine Eigenschaften neben technologischen Anforderungen auch solche erfüllen, die das Erscheinungsbild der Reprofilierungsstelle betreffen.

Wichtige Anforderungen an den Instandsetzungsmörtel sind in Abbildung 12 (links) zusammengefasst. Sie betreffen sowohl die Frischmörtel- (Verarbeitbarkeit, Modellierbarkeit) als auch Festmörteleigenschaften (mechanische Eigenschaften, Dauerhaftigkeit und optisches Erscheinungsbild). Die Eigenschaften des Instandsetzungsmörtels bzw. -betons müssen auf die Eigenschaften des Bauwerkbetons abgestimmt sein. Grundsätzlich sollte die Zusammensetzung eines Instandsetzungsmörtels bzw. -betons weitestgehend jener des Bauwerksbetons entsprechen. Die Festlegung des spezifischen Anforderungsprofils für den zu verwendenden Instandsetzungsmörtel oder -beton bzw. die darauf aufbauende Entwicklung eines Mörtels bzw. Betons mit spezifischen Eigenschaften ist mit einer Bemessungsaufgabe vergleichbar. Nähere Angaben hierzu sind in [8] geben.

Zur Erzielung einer hohen Dauerhaftigkeit lokaler Instandsetzungsmaßnahmen ist u. a. der sogenannten Plombenbildung wirksam zu begegnen. Unter dieser versteht man das u. U. an freien Rändern oder am Rand von Reprofilierungsstellen beginnende, reißverschlussartige Ablösen des Reprofilierungsmörtels vom Bauwerksbeton. Die hierfür verantwortlichen Spannungszustände sind in Abbildung 12 (rechts) skizziert. Im oberen Bildteil ist eine Draufsicht auf eine Mörtelstelle, im unteren Bildteil der Schnitt durch diesen Bereich dargestellt. Das Schwinden des Reparaturmörtels oder die schockartige Abkühlung bei einem Gewitterregen bewirken nicht nur oberflächenparallele Zugspannungen σxx im Mörtel und am Übergang Mörtel/Bauwerksbeton, sondern auch Ablösespannungen σzz senkrecht zur Oberfläche. Dabei besteht zwischen den Spannungen σxx und den Spannungen σzz eine bestimmte Korrelation. Die Ablösespannungen σzz besitzen ein Maximum am Übergang zwischen Mörtel und Bauwerksbeton.

Die Spannungen σxx und damit auch die Spannungen σzz fallen umso größer aus, je stärker sich der Mörtel zu verkürzen versucht und je höher sein Elastizitätsmodul (E-Modul) ist. Sie werden jedoch durch die Zugfestigkeit des Mörtels nach oben begrenzt. Um also Hohllagen des Mörtels zu vermeiden, muss die Verbundfestigkeit zwischen Reparaturmörtel und Bauwerksbeton umso höher sein, je höher die Zugfestigkeit des Mörtels ist. Eine feine Rissbildung im Mörtel reduziert die Zugspannungen ohne die Dauerhaftigkeit zu beeinträchtigen. Bei bekanntem Zusammenhang zwischen der maximalen Zugspannung σxx und der maximalen Ablösespannung σzz (siehe [9]), lässt sich für den Reparaturmörtel eine Obergrenze der zulässigen Zugfestigkeit angeben, damit Hohllagen (Plombenbildungen) des Mörtels vermieden werden können. Hierbei kann vereinfachend angenommen werden, dass die maximal aufnehmbare Ablösespannung σzz (= Verbundfestigkeit) der Oberflächenzugfestigkeit des Bauwerksbeton entspricht.

Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass die Zugfestigkeit, aber auch andere Mörteleigenschaften gezielt eingestellt werden müssen. Die Einstellung der technologischen Eigenschaften der Reparaturmörtel und Reparaturbetone erfolgt insbesondere über den Wasserzementwert, das Bindemittel/Zuschlag-Verhältnis und die gezielte Einführung von Luftporen oder sogenannten Mikrohohlkugeln (siehe [8]).

Für den Instandsetzungsmörtel ist eine speziell auf ihn abgestimmte, zementgebundene Haftbrücke zu entwickeln. Die technische Eignung des Instandsetzungsmörtels bzw. -betons inklusive Haftbrücke ist vor dem Einsatz am Bauwerk anhand entsprechender Prüfungen in Anlehnung an einschlägige Vorschriften und Richtlinien nachzuweisen.

Abb. 12: Zusammenfassung des Anforderungsprofils an Instandsetzungsmörtel; links: geforderte Eigenschaften des Instandsetzungsmörtels; rechts, oben: Draufsicht auf eine mit Mörtel verschlossene Ausbruchstelle des Bauwerksbeton; rechts, unten: Schnitt durch Mörtelschicht und Bauwerksbeton; Darstellung des Verlaufs der senkrecht zur Oberfläche wirkenden Ablösespannungen σZZ unmittelbar vor dem Ablösen (gestrichelte Kurve) sowie nach begrenzter Ablösung im Randbereich (durchgezogene Linie)

Abb. 12: Zusammenfassung des Anforderungsprofils an Instandsetzungsmörtel; links: geforderte Eigenschaften des Instandsetzungsmörtels; rechts, oben: Draufsicht auf eine mit Mörtel verschlossene Ausbruchstelle des Bauwerksbeton; rechts, unten: Schnitt durch Mörtelschicht und Bauwerksbeton; Darstellung des Verlaufs der senkrecht zur Oberfläche wirkenden Ablösespannungen σZZ unmittelbar vor dem Ablösen (gestrichelte Kurve) sowie nach begrenzter Ablösung im Randbereich (durchgezogene Linie)

Die Steuerung der das Erscheinungsbild prägenden Eigenschaften erfolgt vorrangig mittels der Farbe des Zementes und eventueller Zusatzstoffe sowie der Farbe der Feinstbestandteile des Zuschlages. Mit zunehmender Intensität der zur Angleichung der Oberflächentextur der Reprofilierungsstelle an die Umgebung notwendig werdenden Bearbeitung der Oberfläche erlangen aber auch Art, Farbe und Kornanteil gröberer Zuschlagstoffe bzw. Gesteinskörnungen immer mehr an Bedeutung für das Erscheinungsbild der Oberfläche.

Die Erzielung der gewünschten Farbe und Helligkeit des Mörtels bzw. Betons erfolgt durch Verwendung eines passenden Zementes, geeigneter Zusatzstoffe, farblich und mineralogisch passender Gesteinskörnungen und erforderlichenfalls einer abgestimmten Mischung von Eisenoxidpigmenten. Die Gesteinskörnungen stammen bevorzugt aus dem gleichen, natürlichen Vorkommen wie die im Bauwerksbeton vorliegenden Gesteinskörnungen.

Abb. 13: Darstellung von Farbwerten im CIELAB-Farbraum nach DIN 6174 (links) sowie Mischungsverhältnisse dreier Eisenoxidpigmente zur Erzielung bestimmter Oberflächenfärbungen bei definierter Zusammensetzung und Oberflächenbearbeitung des Instandsetzungsmörtels. Darstellung der Farben in der Farbartebene eines CIELAB-Systems (rechts); siehe auch [4] und [8]

Abb. 13: Darstellung von Farbwerten im CIELAB-Farbraum nach DIN 6174 (links) sowie Mischungsverhältnisse dreier Eisenoxidpigmente zur Erzielung bestimmter Oberflächenfärbungen bei definierter Zusammensetzung und Oberflächenbearbeitung des Instandsetzungsmörtels. Darstellung der Farben in der Farbartebene eines CIELAB-Systems (rechts); siehe auch [4] und [8]

Zur Quantifizierung der Farbe des Bauwerksbetons und zur Steuerung der Farbe des Instandsetzungsmörtels bietet sich eine Vorgehensweise an, die in [4] bzw. [8] beschrieben und im Prinzip in Abbildung 13 veranschaulicht ist. Abbildung 13 (links) zeigt die numerische Quantifizierung von Farbe und Helligkeit unter Zugrundelegung des CIELAB-Farbraums. Einzelne Farben können in der Farbartebene dargestellt werden, die durch einen konstanten L*-Wert gekennzeichnet ist. Abbildung 13 (rechts) gibt die Ergebnisse von Farbanalysen unter Verwendung von drei Eisenpigmenten wieder. Sind die Farbwertzahlen eines Bauwerksbetons aus entsprechenden Voruntersuchungen bekannt (siehe Datenpunkt mit x-Symbol), so kann mit Hilfe des linear aufgeteilten Gitternetzes jenes Pigmentmischungsverhältnis angegeben werden, das mit guter Näherung die gewünschte Mörtel- bzw. Betonfarbe liefert.

III.6. Instandsetzungsarbeiten

Art und Umfang der Instandsetzungsarbeiten sowie ihre Ausführung hängen von spezifischen Gegebenheiten ab und sind auf der Grundlage der Ergebnisse der Bauwerksuntersuchungen (Abschnitte 3.2 und 3.3) bzw. der Prognose des Korrosionsfortschritts (Abschnitt 3.4) festzulegen. Wesentliche Arbeitsschritte bei der Instandsetzung von Betonoberflächen sind (siehe auch [8]):

  • Reinigen der Bauwerksoberflächen ohne nennenswerten Oberflächenabtrag in den nicht geschädigten Bereichen;
  • Festlegen der Grenzen der zu bearbeitenden Schadensbereiche. Die Begrenzung erfolgt durch gerade, sich an der Oberflächentextur orientierende Linien, z. B. Schalbrettfugen;
  • Einschneiden des Betons entlang der Grenzlinien bis maximal 5 mm Tiefe, z. B. mit einem Trennschleifer;
  • Ausstemmen des Betons zwischen den Einschnitten und Freilegen der Bewehrung bis in den nicht karbonatisierten bzw. nicht mehr korrosionsgefährdeten Bereich. Der Reparaturbereich ist in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten u. U. zu vergrößern;
  • Säubern und Entrosten der Bewehrung sowie Entfernen von losen und niederfesten Teilen aus der Ausbruchstelle;
  • Aufbringen eines Korrosionsschutzsystems auf den Bewehrungsstahl, sofern erforderlich;
  • Vornässen der Betonausbruchstelle und der unmittelbaren Umgebung der Ausbruchstelle;
  • Auftragen und Einbürsten einer zementgebundenen Haftbrücke auf die Oberflächen der Ausbruchstelle;
  • Einbringen eines geeigneten Instandsetzungsmörtels bzw. -betons in die Ausbruchstelle (frisch in frisch mit der Haftbrücke). Falls erforderlich, Modellieren des noch frischen Mörtels, z. B. zur Herstellung einer Schalbrettstruktur;
  • Nachbehandlung (mehrtägig) der Reprofilierungsstelle;
  • Nur bei Bedarf: Steinmetztechnische Nachbearbeitung der Reprofilierungsstelle zur Vervollständigung des Angleichs der Oberflächentextur der Reparaturstelle an die Umgebung.

Es wird deutlich, dass die aufgeführten Arbeitsschritte keine nennenswerten Unterschiede, wohl aber einige wichtige Erweiterungen zur üblichen Vorgehensweise bei einer Betoninstandsetzung beinhalten.

Diese betreffen neben technischen/handwerklichen auch gestalterische Aspekte. So beeinflussen neben der Zusammensetzung des Instandsetzungsmörtels auch die Formgebung der Reparaturstelle, die Technik des Einbringens und Verdichtens des Reparaturmörtels bzw. -betons, die Oberflächenbearbeitung der Reparaturstelle und nicht zuletzt die Reinhaltung der umgebenden Bestandsflächen entscheidend das Erscheinungsbild des Bauwerks nach der Instandsetzung, siehe hierzu [10].

Die verschiedenen bei einer behutsamen Betoninstandsetzung zu beachtenden Randbedingungen erfordern daher zwingend die Einschaltung einer Fachbauleitung. Diese sollte bereits die Leistungsbeschreibung im Zuge der Vergabe der Instandsetzungsarbeiten erstellt haben.

Abbildung 14 zeigt exemplarisch zwei Details von instand gesetzten Betonoberflächen an einer Sichtbetonfassade und einer Fensterlaibung aus Beton. Durch Farbgebung des Mörtels, Modellierung der Oberfläche und steinmetztechnische Bearbeitung sind die Reprofilierungsstellen den originalen Betonoberflächen angeglichen.

Abb. 14: Detail einer instand gesetzten Betonoberfläche der zwischen 1966 und 1969 erbauten Norishalle in Nürnberg (links) und instand gesetzte Laibung eines Fensters des in den Jahren 1916-17 errichteten Wasserturms „Kavalier Dallwigk“ in Ingolstadt (rechts). Die reprofilierten Bereiche sind jeweils durch eine weiße, gestrichelte Linie im Bild kenntlich gemacht

Abb. 14: Detail einer instand gesetzten Betonoberfläche der zwischen 1966 und 1969 erbauten Norishalle in Nürnberg (links) und instand gesetzte Laibung eines Fensters des in den Jahren 1916-17 errichteten Wasserturms „Kavalier Dallwigk“ in Ingolstadt (rechts). Die reprofilierten Bereiche sind jeweils durch eine weiße, gestrichelte Linie im Bild kenntlich gemacht.

Hinsichtlich der Wahl und Durchführung von Verstärkungsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Standsicherheit bzw. Tragfähigkeit wird auf die einschlägigen Normen, insbesondere DIN 1045 und auf das umfangreiche Schrifttum verwiesen; siehe hierzu z. B. [11].

III.7. Qualitätssicherung

Ein Qualitätssicherungsplan (QS-Plan) sollte grundsätzlich Teil des Instandsetzungsplanes sein. Bei der behutsamen Betoninstandsetzung ist er eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg der Maßnahme. Der QS-Plan erstreckt sich auf die eingesetzten Materialien und die Ausführung. Dabei muss er auch vorbereitende Probearbeiten und das Anlegen von Instandsetzungsmustern präzise beschreiben. Da die behutsame Instandsetzung einer Betonoberfläche im Prinzip der Ausführung einer besonders schwierigen Art von „Sichtbeton“ ähnlich ist, muss der QS-Plan erfahrungsgemäß einen hohen Detaillierungsgrad aufweisen, um vor unangenehmen Überraschungen sicher zu sein. Wichtig ist insbesondere auch, dass alle maßgeblich an der Instandsetzung beteiligten Parteien – insbesondere Architekt, Ingenieur, Denkmalpfleger und Ausführender – in enger Abstimmung zusammenarbeiten.

IV. Erfahrungen

Die mit der behutsamen Betoninstandsetzung über nunmehr nahezu 20 Jahre gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass bei Nutzung des verfügbaren Wissens zur Dauerhaftigkeit von Stahlbeton und zur Betontechnologie denkmalgerechte und dauerhafte Instandsetzungsmaßnahmen an Beton- und Stahlbetonbauwerken realisiert werden können.

Der Erfolg einer behutsamen Betoninstandsetzung ist allerdings nur dann gewährleistet, wenn die erforderlichen Voruntersuchungen auf einer technisch-wissenschaftlichen Basis erfolgen, die Arbeiten sorgfältig vorbereitet, ausgeschrieben und von einer erfahrenen Fachbauleitung begleitet werden. Eine Teambildung gut ausgebildeter und erfahrener Fachleute ist daher notwendig. Unter diesen Voraussetzungen sind behutsam instand gesetzte Sichtbetonflächen mindestens genau so dauerhaft wie konventionell instand gesetzte Flächen und weisen ein Erscheinungsbild auf, das dem Sichtbeton des Bauwerks gerecht wird.

Die gewonnenen Erfahrungen zeigen zudem, dass bei dieser Art der Instandsetzung der für eine Betoninstandsetzung übliche Kostenrahmen nicht gesprengt wird. Langfristig ist eine behutsame Instandsetzung in jedem Fall kostengünstiger als eine konventionelle großflächige Maßnahme, da auf den Einsatz ganzflächiger Beschichtungen verzichtet werden kann, die einer regelmäßigen Überarbeitung bzw. Erneuerung bedürfen; siehe hierzu auch [12].

V. Schlussbemerkungen

Die Erhaltung von historischen Bauwerken besitzt nicht nur eine denkmalpflegerische Dimension. Durch die Minimierung der Eingriffe und den Verzicht auf ganzflächige polymere Beschichtungen erfüllt die behutsame Instandsetzung in besondere Weise wesentliche Kriterien der Nachhaltigkeit. Dieser Sachverhalt ist auch von besonderer Bedeutung vor dem Hintergrund, dass eine behutsame Betoninstandsetzung bei jedem schadhaften Sichtbetonbauwerk durchgeführt werden kann – unabhängig davon, wie alt es ist und ob es als Denkmal einzustufen ist.

Die behutsame Instandsetzung kann jedoch nicht zur Anwendung gelangen, wenn hierbei technische Forderungen hinsichtlich der Dauerhaftigkeit und der Gebrauchstauglichkeit nicht mehr erfüllt werden können. Die Gewährleistung der Standsicherheit des Bauwerkes bleibt selbstverständlich das übergeordnete Entscheidungskriterium für die Art der Instandsetzung. Örtliche Instandsetzungsmaßnahmen sind zum Beispiel eher ungeeignet, wenn große Schäden in statisch hoch beanspruchten Bereichen aufgetreten sind. Nach heutigem Kenntnisstand sind örtliche Instandsetzungsmaßnahmen ebenfalls besonders problematisch, jedoch nicht kategorisch ausgeschlossen, wenn in den Beton eingedrungene Chloride zu einer Stahlkorrosion führten, wie dies z. B. bei Brückenbauwerken der Fall sein kann. Durch äußere Einwirkungen, wie zum Beispiel beton- oder stahlangreifende Medien, Tausalzlösungen etc. hoch beanspruchte Bauwerksbereiche bedürfen selbstverständlich eines zusätzlichen ganzflächigen Schutzes der Betonoberflächen. Hier sind eindeutig die Grenzen der behutsamen Instandsetzung erreicht.

Grundsätzlich bedarf die Entscheidung über die Art der Instandsetzung und dabei insbesondere die Frage, ob eine behutsame Instandsetzung durchgeführt werden kann, der Beurteilung des Einzelfalls durch einen hierfür qualifizierten und erfahrenen Ingenieur. Von Anfang an ist also die Zusammenarbeit von Ingenieur, Architekt, Denkmalpfleger und Bauherr notwendig.

Beitrag als PDF herunterladen

Literatur:

[1] Luley, H. u. a.: Instandsetzen von Stahlbetonoberflächen. Bundesverband der Deutschen Zementindustrie (Hrsg.), Beton-Verlag GmbH, Düsseldorf, 7. Auflage, 1997

[2] Deutscher Ausschuss für Stahlbeton: DAfStb-Richtlinie – Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instandsetzungs-Richtlinie). Beuth Verlag GmbH, Berlin und Köln, 2001

[3] Hillemeier, B. u. a.: Instandsetzung und Erhaltung von Betonbauwerken. In: Betonkalender 1999, Teil II, Verlag Ernst & Sohn, 1999

[4] Müller, H. S., Günter, M. und Hilsdorf, H. K.: Instandsetzung historisch bedeutender Beton- und Stahlbetonbauwerke. Beton- und Stahlbetonbau, Bd. 95, Heft 3, S. 143 – 157, 2000, bzw. Heft 6, S. 360 – 364, 2000

[5] Pörtner, R.: Statisch-konstruktive Maßnahmen In: Instandsetzung bedeutsamer Betonbauten der Moderne in Deutschland, Tagungsband zum Symposium am 30.03.2004 an der Universität Karlsruhe; Müller, H. S. und Nolting U. (Hrsg.), Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Universität Karlsruhe, 2004

[6] Tuutti, K.: Corrosion of Steel in Concrete. Swedish Cement and Concrete Research Institute, Stockholm, 1982

[7] Vogel, M., Bohner, E., Günter, M. und Müller, H. S.: Beurteilung der Dauerhaftigkeit und Restnutzungsdauer von Betonbauteilen mittels probabilistischer Methoden. In: Innovationen in der Betonbautechnik, Tagungsband zum 3. Symposium Baustoffe und Bauwerkserhaltung, Universität Karlsruhe (TH), 15.03.2006, Müller, H. S. et al. (Hrsg.), Universitätsverlag Karlsruhe, S. 65-78, 2006

[8] Günter, M.: Instandsetzungswerkstoffe – Entwicklung, Eigenschaften, Verarbeitung. In: Instandsetzung bedeutsamer Betonbauten der Moderne in Deutschland, Tagungsband zum Symposium am 30.03.2004 an der Universität Karlsruhe; Müller, H. S. und Nolting U. (Hrsg.), Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Universität Karlsruhe, 2004

[9] Haardt, P.: Zementgebundene und kunststoffvergütete Beschichtungen auf Beton. Schriftenreihe des Instituts für Massivbau und Baustofftechnologie, Universität Karlsruhe, Heft 13, 1991

[10] Baumstark, H.: Umsetzung gestalterischer Aspekte der Instandsetzung. In: Instandsetzung bedeutsamer Betonbauten der Moderne in Deutschland, Tagungsband zum Symposium am 30.03.2004 an der Universität Karlsruhe; Müller, H. S. und Nolting U. (Hrsg.), Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Universität Karlsruhe, 2004

[11] Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V.: Schützen, Instandsetzen, Verbinden und Verstärken von Betonbauteilen (SIVV-Handbuch). Fraunhofer IRB Verlag, 4. Auflage, Stuttgart, 2000

[12] Günter, M.: Durchführung, Kosten und Dauerhaftigkeit behutsamer Betoninstandsetzungen – Erfahrungen mit ausgeführten Maßnahmen. In: Instandsetzung bedeutsamer Betonbauten der Moderne in Deutschland, Tagungsband zum Symposium am 30.03.2004 an der Universität Karlsruhe; Müller, H. S. und Nolting U. (Hrsg.), Institut für Massivbau und Baustofftechnologie, Universität Karlsruhe, 2004

[13] RCP GmbH: STRUREL, A Structural Reliability Analysis Program System. STATREL Manual 1999; COMREL & SYSREL Manual, 2003, RCP Consulting GmbH München

 

Kommentare sind geschlossen.