Instandsetzung von Massivbauten: Architektur und Statik

_ von Rudolf Pörtner

 

I. Merkmale des Holz-, Mauerwerks- und Eisenbetonbaus

Über Jahrhunderte hinweg wurden tragenden Konstruktionen in historischen Bauten bevorzugt aus Holz und/oder Mauerwerk errichtet. Dagegen verwendete man Eisen im frühen Mittelalter sowohl im Holz- als auch im Mauerwerksbau gar nicht oder nur sehr sparsam.

II. Historische Tragkonstruktionen aus Holz- und Mauerwerk

In der Hühnerfautei in Schönau zum Beispiel – ein Bauwerk der Zisterzienser, dessen Baudatum dendrochronologisch auf 1250/51 ermittelt werden konnte – wurden die gemauerten Giebel mit Holzankern an der Dachbalkenlage zurückverhängt und die Dielen auf den Deckenbalken mit Holznägeln verzimmert. Erst als im vierzehnten Jahrhundert das Verhütten von Eisen im Hochofen gelang und mit der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit im Holzbau Zapfenanschlüsse mehr und mehr die Blattanschlüsse verdrängten, verarbeitete der Zimmermann in zunehmendem Maße auch Verbindungsmittel aus Eisen. Im Zuge dieser Entwicklung, die bis in das 19. Jahrhundert andauerte, wurden die Holznägel in ihrer Form einfacher und in ihren Abmessungen kleiner und die Nägel aus Eisen größer und in ihrer Form differenzierter. Ferner kamen in zunehmendem Maße Holztragwerke mit nennenswert auf Zug beanspruchten Anschlüssen zur Ausführung. Für sie waren kleinformatige Eisenteile kennzeichnend, wie Flacheisen, Bolzen und Mutter oder Splint.

Auch im Mauerwerksbau war es im Mittelalter Tradition, Bauform, Tragverhalten und Lastabtrag möglichst gut aufeinander abzustimmen und auf Zug beanspruchte Konstruktionen zu vermeiden, um möglichst ohne Eisen auszukommen. Wenn man in besonderen Fällen teures Eisen verwendete, dann nur sparsam in Form von Dollen, Klammern, Schlaudern oder Ankern.

Bis in das 18. Jahrhundert hinein blieb Eisen teuer, weil es an der für die Verhüttung nötigen Holzkohle fehlte. Erst als es im Verhüttungsprozess Anfang des 18. Jahrhunderts gelang, Holzkohle durch Steinkohle zu ersetzen konnte sich die Maschinenindustrie rasch entwickeln. Durch das 1783 von Henry Cort eingeführte Puddel-Verfahren war Holzkohle auch bei der Nachbehandlung des Eisens nicht mehr erforderlich. Im Puddel-Verfahren wurde das Roheisen durch Zufuhr erhitzter Luft durch Umrühren mit Hakenstangen von Silicium, Mangan und Kohlestoff befreit. In der Folge sanken die Kosten für Gusseisen und Eisen. Hatte man Eisen zuvor im Wesentlichen sparsam in auf Zug beanspruchten Konstruktionen eingebaut, so konnte man es sich nun erlauben, auch großformatige, auf Druck und Biegung beanspruchte Bauteile zu verwenden. Die großformatigen Eisenbauteile machten die besonderen Werkstoffeigenschaften des Eisens offenkundig – das ungünstige Verhalten im Brandfall, die Notwendigkeit eines speziellen Korrosionsschutzes, das von den Verbindungsmitteln geprägte technische Erscheinungsbild genieteter Konstruktionen und die aus bauphysikalischen Gründen nur eingeschränkte Eignung des Eisens für raumabschließende Bauteile.

III. Eisen- und Stahlbeton als Verbundkonstruktion

Nach den Fortschritten in der Eisenverhüttung im 18. Jahrhundert wurden im 19. Jahrhundert leistungsfähige Zemente – darunter der Portlandzement – entwickelt. In der Tradition des Bauens mit gestampftem Lehm zwischen einer Schalung aus Holz auf einem Steinsockel, die Pisé im Raum Lyon pflegte, arbeitete François Coignet (1814 – 1888) mit gestampftem Kies, Sand und Wasserkalk, um den mit dem Lehmbau verbundenen, langwierigen Austrocknungsprozess zu umgehen. Die Oberschwäbische Eisenbahn ließ 1870 ein Bahnwärterhaus aus Stampfbeton errichten, um die Kosten für teuren Naturstein zu sparen. Die Berliner Cement-Actien-Gesellschaft entwickelte 1873 ein Bau-Bureau aus Stampfbeton. Joseph Monier (1823-1906) mischte Zement, Kies, Sand und Wasser zu Beton und kombinierte ihn mit dem Eisen zum Eisenbeton. Für diese neuartige Verbundbauweise erhielt er 1867 ein erstes Patent.

Im Eisenbeton ergänzen sich in hervorragender Weise die Druckfestigkeit des Betons und die hohe Zugfestigkeit des Eisens. Die Alkalität des Betons verhindert die Korrosion des Eisens, mit Beton sind raumschließende Bauteile zu gestalten, er erlaubt freie Formen, lässt besondere Oberflächengestaltungen zu, trägt im Brandfall zu einer größeren Feuerwiderstandsdauer der Konstruktion bei und erfordert als Ortbeton keine gesonderten Verbindungsmittel. Durch die Kombination von Eisen und Beton ließ sich die Verbundkonstruktion an die unterschiedlichsten Anforderungen anpassen. Beton bzw. Eisenbeton eignete sich vorteilhaft für traditionelle und neuartige Konstruktionen, zum Beispiel für Fundamente, Bodenplatten, Stützen, Streben, Wände, Unter- und Überzüge, Deckenplatten, Wandscheiben, Falt- und Schalentragwerke. François Hennebique (1842-1921) errichtete 1892 zum ersten Mal ein Bauwerk allein aus Eisenbeton (Abb. 1). Der Begriff Eisenbeton blieb bis 1940 gebräuchlich. Nach 1940 verarbeitete man zunehmend mehr Stahl als Eisen, so dass seither die Bezeichnung Stahlbeton zutreffend ist.

Abb. 1 Eisenbetonkonstruktion von François Hennebique

Abb. 1 Eisenbetonkonstruktion von François Hennebique

Frühe Eisenbetonbauten zeigen, dass man im Umgang mit der neuartigen Verbundbauweise in der Gestaltung zunächst noch in der Tradition des Mauerwerks- und Holzbaus verhaftet blieb. Im Jahr 1906 wurde in Jena-Göschwitz eine Friedhofskapelle aus Eisenbetonfertigteilen errichtet. Wie im Holzfachwerkbau stehen in den „Bundachsen“ Eisenbetonstützen. Entsprechend den Fachwerkrähmen bilden Eisenbetonriegel den oberen Abschluss der Wand. In Eisenbeton ausgeführte Fenster- und Türpfosten, Brüstungs- und Sturzriegel fassen die Wandöffnungen ein. Die „Gefache“ mauerte man aus, jetzt allerdings mit Betonsteinen. Wie im Mauerwerksbau verwendete man Schlaudern, Flacheisen, die man in jeder dritten Lagerfuge in Mauermörtel einbettete, um das Gefüge zusammenzuhalten. Die Stützen und die aus Basis, Schaft und Kapitell zusammengesetzten Säulen des Portikus sowie die Baluster erhielten mittig angeordnete Eisenstäbe als „Bewehrung“ bzw. als Ankerstab (Abb. 2).

Abb. 2 Friedhofskapelle aus Eisenbetonfertigteilen in Jena-Göschwitz, erbaut 1906

Abb. 2 Friedhofskapelle aus Eisenbetonfertigteilen in Jena-Göschwitz, erbaut 1906

1908 wurde in Osthofen bei Worms die Halle einer Papierfabrik in Eisenbeton ausgeführt. Die Stützen haben Querschnitte von 25 x 25 cm und Achsmaße von 5,5 m in Querrichtung und 6,3 m in Längsrichtung. Das sind Dimensionen, wie sie vom Holzbau vertraut waren. Wie die Kopfhölzer im Holzbau, so versteifen jetzt Vouten die Ecken zwischen den Stützen und den Unterzügen und wie im Holzbau zieren „eingesetzte“ Fasen die Kanten der Betonbauteile (Abb. 3 und 4). Unverkennbar waren für die Schalarbeiten Zimmerleute zuständig.

Abb. 3 Eisenbetonhalle in Osthofen, erbaut 1908

Abb. 3 Eisenbetonhalle in Osthofen, erbaut 1908

Abb. 4 Vouten, Stützen und Unterzüge mit eingesetzten gefasten Kanten

Abb. 4 Vouten, Stützen und Unterzüge mit eingesetzten gefasten Kanten

In der Zeit von 1908 bis 1911 wurde in Konstanz das Suso-Gymnasium im Jugendstil erbaut. Als man 1981 bei Umbauarbeiten in einer Flurdecke auffällig wenig Zugbewehrung vorfand, ergaben Nachrechnungen auf der Grundlage der geltenden Berechnungsmethoden und Stahlbetonbestimmungen keine ausreichende Tragfähigkeit. Dennoch zeigten sich keine gravierenden Risse und Deformationen in den Decken und Wänden, die eine unmittelbare Gefahr bzw. eine Überlastung signalisiert hätten. Ein Versuch, in dem der Zuwachs der Spannungen in den Bewehrungsstäben infolge zunehmender Belastung mit Hilfe elektrischer Widerstandsmessungen gemessen wurde, ergab, dass die Spannungen nicht in dem Maße anstiegen, wie nach der Bemessung auf der Grundlage der Biegetheorie zu erwarten gewesen wäre. Das beobachtete Tragverhalten ist mit der Gewölbetragwirkung der Decken zu erklären. Die gelenkig gelagerten Deckenplatten verdrehen sich und stützen sich dabei elastisch gegen die angrenzenden Platten ab. Das Abstützen reduziert die Dehnungen und im gleichen Maße den Anstieg der Spannungen in der Deckenbewehrung. Im Unterschied dazu behindert nach dem heute üblichen Tragmodell der Plattentheorie eine längsbewegliche Lagerung der Deckenplatten horizontale Verschiebungen nicht. Das heißt, auch hinsichtlich des Tragmodells der Eisenbetondecken orientierte man sich an dem vertrauten Tragverhalten gemauerter Gewölbe (Abb. 5).

Abb. 5 Tragmodelle zur Biege- und Gewölbetragwirkung von Decken

Abb. 5 Tragmodelle zur Biege- und Gewölbetragwirkung von Decken

IV. Das Altern des Betons

Nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtete man den Beton in den 1960er und auch noch in den 1970er Jahren als ein künstliches, so gut wie unverwüstliches Gestein. Erst im Jahr 1985 führte die Entwicklung der Schäden an Betonbauten zur Gründung eines Arbeitsausschusses, der sich mit dem Schutz und der Instandsetzung von Betonbauteilen befasste. Drei Jahre später kam das Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau in seinem „Zweiten Bauschadensbericht“ zu dem Ergebnis, dass für die Instandhaltung der bestehenden Bausubstanz in der Bundesrepublik Deutschland rund 1/5 der Kosten des Bauvolumens insgesamt und von diesen Kosten wiederum ein erheblicher Anteil für das Instandsetzen von Betonbauten aufzuwenden ist.

Wie Konstruktionen aus Holz oder Mauerwerk, so altern auch Bauteile aus Eisen- bzw. Stahlbeton. Witterungseinflüsse bewirken sichtbare Veränderungen, indem es in Abhängigkeit von den Betoneigenschaften im Laufe der Zeit zu mehr oder weniger großen Feinkornverlusten an der Bauteiloberfläche kommt. Bestimmt das Zementgrau des Feinkorns die Farbigkeit des neuen Betons, so beleben im gealterten Beton die Eigenfarben der Zuschläge das Erscheinungsbild. Ferner vollziehen sich für das Auge unsichtbar chemische Veränderungen im Beton. Nach dem Anmachen des Zements mit Wasser bewirkt die Hydratation, dass das Kalziumhydroxid – Ca(OH)2 (Löschkalk, Kalkhydrat) – im Kapillarporenwasser die Bewehrung mit einer lückenlosen Schicht überzieht. Diese so genannte Passivschicht schützt das Eisen beziehungsweise den Stahl vor Korrosion. Dringt Kohlendioxid – CO2 aus der Luft – über das Kapillarporensystem im Beton zum Kapillarporenwasser vor, so reagiert es mit dem Kalziumhydroxid. Dabei entstehen Kalziumkarbonat – CaCO3 (Kalkstein) – und Wasser. Der chemische Prozess, der als Karbonatisierung des Betons bezeichnet wird, verändert die Betoneigenschaften. Vorteilhaft wird das leicht wasserlösliche Kalziumhydroxid in stabilen Kalkstein umgewandelt. Dabei verdichtet sich das Betongefüge. Nachteilig wirkt sich der Rückgang des pH-Wertes des Betonporenwassers von 12,5 auf etwa 9 aus. Durch die geminderte Alkalität wird die Passivschicht depassiviert, die den Betonstahl vor Korrosion schützt. Bewehrung im depassivierten Bereich des Betons ist korrosionsgefährdet, korrodiert aber nicht zwangsläufig. Zur Korrosion kommt es erst unter der Bedingung, dass die Bewehrung im karbonatisierten Bereich des Betons liegt und gleichzeitig Sauerstoff und Wasser an den Stahl gelangen. Zu einer Ausnahme von diesem Verhalten führen Chloridionen. Unterwandern sie die Passivschicht und dringen sie bis zur Bewehrung vor, lösen sie Lochfraßkorrosion aus.

V. Ergründen des Bauzustandes

Die Eigenschaften des gewachsenen Holzes und die Tradition des Zimmerhandwerks führten dazu, dass sich der Holzbau in den vergangenen Jahrhunderten nur langsam und in kleinen Schritten entwickelte. Das vereinfacht es, wenn man sich von der Beschaffenheit und vom Bauzustand eines traditionellen Holztragwerks ein Bild verschaffen muss. Visuelle Untersuchungen und das Erfassen der Bauteildimensionen ergeben im Allgemeinen bereits einen guten Überblick. Darauf aufbauend lassen sich verdeckte Schäden durch gezieltes Freilegen, endoskopische Untersuchungen, Perkussionsprüfungen und zerstörungsarme Bohrwiderstandsmessungen ermitteln.

Im Mauerwerksbau führt das Gefüge aus Mörtel und Steinen zu einer Vielzahl von Ausführungsvarianten. Ein Mauergefüge kann aus künstlichen oder natürlichen Steinen unterschiedlicher Varietät, aus in den Lagerflächen gar nicht bearbeiteten Bruchsteinen, wenig bearbeiteten, hammerrechten Steinen oder aufwändig hergerichteten Quadersteinen bestehen. Das Mauerwerk kann in einem ordnungsgemäßen Verband, im Zierverband oder als Schalenmauerwerk mit dicken oder dünnen Mörtelfugen und mit großem oder kleinem Hohlraumvolumenanteil hergestellt sein. Der Mauermörtel kann bindemittelreich oder bindemittelarm sein. Generell aber verwendete man Kalkmörtel, wenn man historisches Mauerwerk nicht als Trockenmauerwerk ausführte. Kalkmörtel haftet nur in sehr geringem Maße zugfest am Mauerstein und kann daher nur in Abhängigkeit von der Auflast Scherspannungen aufnehmen. Infolgedessen reagiert Mauerwerk sensibel mit Verformungen und Rissen auf unregelmäßige Beanspruchungen. Die Verformungen und Risse aber sind ein hervorragender Indikator für das Tragverhalten und den Lastfluss im Mauergefüge. Ausgehend von den Verformungen und Rissen lassen sich die Mängel und Schäden gemauerter Bauteile ebenfalls visuell gut eingrenzen. Auf dieser Grundlage sind danach verdeckte Eigenarten, Mängel und Schäden gezielt und zerstörungsarm gut herauszuarbeiten, zum Beispiel durch Georadaruntersuchungen, Kernbohrungen und endoskopische Untersuchungen.

Sich ein Bild vom Gefüge eines Eisenbeton- bzw. Stahlbetonbauteils als Grundlage für eine denkmalgerechte, die Substanz schonende Betoninstandsetzung zu verschaffen, ist ungleich aufwändiger. Eisenbeton- und Stahlbetonbauten der Moderne sind „Unikate“ wie alte Bauten aus Holz oder Steinen. Wie diese sind sie schonend zu untersuchen. Das aber wird durch die Verbundbauweise und das Altern des Betons erschwert. Anlass zu einer Untersuchung können Mängel und Schäden oder eine Umnutzung geben. Die am häufigsten anzutreffenden Schäden in unseren Breiten sind korrodierende Bewehrung in Verbindung mit Betonabplatzungen (Abb. 6), Betonverwitterungen (Abb. 7) und/oder Risse (Abb. 8). Zu den verbreitet anzutreffenden Mängeln zählen haufwerksporige Betonstellen, bei denen sich Poren zwischen den Körnern des Zuschlagstoffes gebildet haben, weil der Feinkornanteil zu gering ist. (Abb. 9).

Abb. 6 Korrodierende Bewehrung und abgesprengte Betonüberdeckung am Speisehaus der Nationen Berlin, erbaut zur Olympiade 1936

Abb. 6 Korrodierende Bewehrung und abgesprengte Betonüberdeckung am Speisehaus der Nationen Berlin, erbaut zur Olympiade 1936

Abb. 7 Verwittertes Traufgesims am Speisehaus der Nationen Berlin

Abb. 7 Verwittertes Traufgesims am Speisehaus der Nationen Berlin

Abb. 8 Riss in der Betonumfassungswand des Beethovensaales der Liederhalle Stuttgart, erbaut 1955/56

Abb. 8 Riss in der Betonumfassungswand des Beethovensaales der Liederhalle Stuttgart, erbaut 1955/56

Abb. 9 Haufwerksporiger Beton in der Linachtalsperre Vöhrenbach

Abb. 9 Haufwerksporiger Beton in der Linachtalsperre Vöhrenbach

Visuell sind nur die Betonoberflächen zu erfassen. Die Bewehrung, ihre Lage, Führung und Güte, ihr Querschnitt und Korrosionszustand bleiben – abgesehen von den Schadstellen – unter der Betonüberdeckung für das Auge verborgen. Auch das Eingrenzen der Betoneigenschaften und das Bestimmen der Karbonatisierungstiefe erfordern, anders als im Holz- und Mauerwerksbau, Eingriffe in die Substanz. Dabei lassen sich die Untersuchungen nicht auf die schadhaften Bereiche begrenzen. Für eine Schadensprognose ist auch der Fortschritt der Karbonatisierung und der Korrosionszustand der Bewehrung in den von Schäden freien Bereichen in Betracht zu ziehen.

Nach unserer Erfahrung ist eine Untersuchung von Betonbauten in zwei Schritten vorteilhaft. In einem ersten Durchgang werden die sichtbaren Unregelmäßigkeiten, Mängel und Schäden des Betons erfasst und kartiert. Das können besonders gestaltete Betonoberflächen, Arbeitsfugen, Betonierhorizonte, Feinkornverluste, Rissverläufe und Rissbreiten, Betonabplatzungen oder freiliegende Bewehrungseisen, aber auch mit anderen Materialien besonders gestaltete Betonflächen sein. Diese Kartierung, die einen ersten Überblick über Art und Verteilung der Beobachtungen vermittelt, sollte sich über alle in Betracht zu ziehenden Betonflächen erstrecken. Auf den Ergebnissen lassen sich dann begründet die Stellen für eine vertiefte, exemplarische Untersuchung abgrenzen (Abb. 10). In dem zweiten Durchgang ist die Beschaffenheit der Betonoberfläche im Detail zu erfassen. Als gut zu unterscheiden hat sich eine Klassifizierung nach den Kriterien fest und geschlossen, gering porig, kleinporige Feinkornfehlstellen und großporige Feinkornfehlstellen erwiesen. Wir verwenden für das Klassifizieren am Bauwerk einen 1,0 x 1,0 m großen Rahmen, in dem kreuzweise feine Drähte im Abstand von jeweils 10 cm ausgespannt sind, so dass sich ein Quadratdezimeterraster ergibt. Die jeweils schlechteste Betonbeschaffenheit innerhalb einer Quadratdezimeterfläche betrachten wir als maßgebend für die Klassifizierung (Abb. 11). Den visuellen Befundergebnissen ordnen wir die ermittelten betontechnologischen Eigenschaften und die Merkmale der konstruktiven Durchbildung des Gefüges zu.

Abb. 10 Allgemeine Schadensaufnahme Beethovensaal Liederhalle Stuttgart

Abb. 10 Allgemeine Schadensaufnahme Beethovensaal Liederhalle Stuttgart

Abb. 11 Exemplarische Schadensaufnahme Beethovensaal Liederhalle Stuttgart

Abb. 11 Exemplarische Schadensaufnahme Beethovensaal Liederhalle Stuttgart

Müssen großflächig die Bewehrungsführung oder eine verdeckte Haufwerksporigkeit ermittelt werden, so lässt sich das zerstörungsfrei mit dem Georadar bewerkstelligen. Das Bewehrungsbild entsteht im Interpretationsverfahren auf der Grundlage des Radargramms. Nach diesem Verfahren sind die Bewehrungsdurchmesser nur grob nach den Kategorien dünn, mittel bzw. dick zu unterscheiden (Abb. 12). Interpretationen des Radargramms im Hinblick auf haufwerksporige Betonstellen erfordern einen Abgleich mit Betonproben, die zerstörungsarm als Betonkern zu entnehmen sind (Abb 13 und 14). Ist die Bewehrung auf kleiner Fläche zu sondieren, so eignet sich das ebenfalls zerstörungsfrei arbeitende elektromagnetische Verfahren. Untersuchungen mit dem Profometer machen es möglich, die sondierte Lage der Bewehrung anschaulich unmittelbar auf dem Bauteil anzuzeichnen. Ist der Bewehrungsdurchmesser bekannt, lässt sich auch das Maß der Betonüberdeckung zerstörungsfrei ermitteln (Abb. 15 und 16).

Abb. 12 Mit dem Georadar sondierte Bewehrung

Abb. 12 Mit dem Georadar sondierte Bewehrung

Abb. 13 Mit dem Georadar sondierte Haufwerksporigkeit im Fundamentbeton der Linachtalsperre in Vöhrenbach

Abb. 13 Mit dem Georadar sondierte Haufwerksporigkeit im Fundamentbeton der Linachtalsperre in Vöhrenbach

Abb. 14 Bohrkerne zur Verifizierung der Ergebnisse der Georadarsondierung

Abb. 14 Bohrkerne zur Verifizierung der Ergebnisse der Georadarsondierung

Abb. 15 Sondierung der Bewehrung mit dem Profometer

Abb. 15 Sondierung der Bewehrung mit dem Profometer

Abb. 16 Kestner-Museum Hannover, sondierte und auf der Betonwabe angezeichnete Bewehrungseisen

Abb. 16 Kestner-Museum Hannover, sondierte und auf der Betonwabe angezeichnete Bewehrungseisen

Zum Erfassen des Korrosionszustandes der Bewehrung sind Freilegungen unumgänglich. Gut zu unterscheiden vom blanken bzw. schwarzen Stahl sind fünf Korrosionsstufen:

Stufe 1: Rostbelag dünn, Stahloberfläche glatt
Stufe 2: Rostbelag dick, Stahloberfläche rau
Stufe 3: Rostbelag in Form von Pusteln, Stahloberfläche gering narbig
Stufe 4: Rostbelag in Form von Pusteln, Stahloberfläche narbig
Stufe 5: Blattrost, Stahl mit Querschnittsverlusten.

Bei der Bewertung eines Querschnittsverlustes darf man sich nicht von der Blattrostmenge irreführen lassen. Bei einem Bewehrungseisen Ø 10 mm mit einer Blattrostschichtdicke von ≤1 mm ist mit einem Querschnittsverlust von etwa 4 v. H., bei einem Bewehrungsstab Ø 20 mm bei gleicher Blattrostdicke mit einem Querschnittsverlust von etwa 2 v. H. zu rechnen.

Beim Prüfen des Korrosionszustandes der Bewehrung entstehen Bruchflächen im Beton, die sich gut zum Messen der Karbonatisierungstiefe eignen. Ausbrüche ermöglichen eine Mittelwertbildung aus mehreren an einer Ausbruchstelle gemessenen Werten. Der Ausbruch ist zwar weniger Substanz schonend als das Ermitteln der Karbonatisierungstiefe am Bohrmehl aus einem Bohrloch, aber zuverlässiger, da sich beim Bohrmehl nicht mehr unterscheiden lässt, ob es vom Zementstein oder vom Zuschlag stammt (Abb. 17).

Abb. 17 Lokalisierung betontechnologischer Daten mit Hilfe eines Rahmens, in dem Drähte im Dezimeterraster angeordnet sind.

Abb. 17 Lokalisierung betontechnologischer Daten mit Hilfe eines Rahmens, in dem Drähte im Dezimeterraster angeordnet sind.

Das Entnehmen von Bohrkernen ist erforderlich, um daran die Materialeigenschaften des Betons zu ermitteln und darauf die Rezepturen des Reprofilierungsmörtels abzustimmen. In Abhängigkeit von den Zielsetzungen der Sanierung sind im Allgemeinen folgende Materialkennwerte des Betons von Bedeutung: die Druckfestigkeit, Biegezugfestigkeit und Haftzugfestigkeit, der Elastizitätsmodul, die Frostbeständigkeit, der Zementanteil, Struktur, Größe und Farbe der Zuschlagsstoffe, die Farbe des Zementsteins und eventuelle Salzbelastungen.

Das objektive Erfassen des Bauzustandes und der Materialeigenschaften bildet die Grundlage für das Abgrenzen der Zielsetzungen bei der Instandsetzung. Dabei ist zwischen Bauteilerneuerung, herkömmlicher Betoninstandsetzung und behutsamem Reprofilieren auf begrenzter Fläche zu unterscheiden. Mit subjektiven Einschätzungen sollte man sehr zurückhaltend sein, da individuelle Eindrücke täuschen können.

Ende der 1980er Jahre wiesen die Sichtbetonfassaden der nach den Plänen der Architekten Adolf Abel und Rolf Gutbrod 1955/56 erbauten Liederhalle in Stuttgart Schäden infolge von Ausführungsmängeln und der Alterung des Betons in den vergangenen vier Jahrzehnten auf. Nach den Ergebnissen der visuellen Schadensaufnahme und der betontechnologischen Untersuchung des Beethovensaales im Frühjahr 1990 waren 3,5 % der Betonfassadenfläche instand zu setzen. Das geringe Schadensausmaß überraschte. Offensichtlich hatte das besondere Schadensausmaß im Abschnitt der konvex gekrümmten Fassade auf der Südwestseite des Saalbauwerkes alle Beobachter prägend beeindruckt und zu der Einschätzung eines generell schlechten Bauzustandes geführt (Abb. 18). Nach den Revisionsplänen betrug der tatsächlich instand gesetzte Flächenanteil nach Abschluss der Instandsetzungsarbeiten im Jahr 1993 insgesamt nur 4 % (Abb. 19).

Abb. 18 Schäden auf der konvex gekrümmten Fassade des Beethovensaales der Liederhalle in Stuttgart

Abb. 18 Schäden auf der konvex gekrümmten Fassade des Beethovensaales der Liederhalle in Stuttgart

Abb. 19 Revisionsplan mit den auf der konkav gekrümmten Fassade des Beethovensaales reprofilierten Flächen

Abb. 19 Revisionsplan mit den auf der konkav gekrümmten Fassade des Beethovensaales reprofilierten Flächen

VI. Aspekte einer denkmalgerechten Betoninstandsetzung

Beim Instandsetzen von denkmalgeschützten Bauwerken aus Beton reicht es nicht aus, betontechnologisch einwandfrei zu reparieren. Zu berücksichtigen sind ferner die architektonisch-denkmalpflegerischen und die statisch-konstruktiven Aspekte.

VII. Architektonisch-denkmalplegerische Aspekte

In den 1980er Jahren wurden die Sichtbetonfassaden der Antoniuskirche in Basel, die 1925 nach Plänen des Architekten Karl Moser erbaut worden war, flächig mit einem neuen Betonauftrag auf altem Betonkern instand gesetzt. Hinsichtlich der betontechnologischen Eigenschaften wurden Superlative erzielt. Die Architektur erfuhr Verluste. Durch den Betonabtrag gingen die authentischen Betonfassaden verloren. Für das Reprofilieren verwendete man Schalelemente mit einer Brettstruktur. Bei aller Sorgfalt gelang es nicht, die Elemente, die aus technologischen Gründen klein gehalten und die aus Kostengründen mehrfach verwendeten werden mussten, auszurichten und zu fixieren. Infolgedessen wurde die Qualität der bauzeitlich exakt ausgeführten Schalung nicht wieder erreicht. Den Kanten fehlt es an Präzision, die Flächen erscheinen uneben und wellig (Abb. 20). Der Mehrauftrag der Betonüberdeckung zeigt sich in der Rahmung des erhaltenen Feldes mit der Jahreszahl der Erbauung (Abb. 21). Der Mehrauftrag mag sich auf die Proportionen der Antoniuskirche kaum spürbar ausgewirkt haben. In der gleichen Weise wie die Antoniuskirche sollten jedoch auch die Sichtbetonfassaden des Goetheanums in Dornach in der Schweiz – erbaut im Jahr 1928 von Rudolf Steiner – instand gesetzt werden. Wellige Flächen, unpräzise Konturen und gravierend veränderte Proportionen hätten die Architektur des Goetheanums empfindlich verändert (Abb. 22).

Abb. 20 Turmkanten und Betonflächen der Antoniuskirche in Basel nach der Betoninstandsetzung

Abb. 20 Turmkanten und Betonflächen der Antoniuskirche in Basel nach der Betoninstandsetzung

Abb. 21 Antoniuskirche Basel bauzeitlicher Beton mit Jahreszahl 1925, gerahmt vom Mehrauftrag des Reparaturbetons

Abb. 21 Antoniuskirche Basel bauzeitlicher Beton mit Jahreszahl 1925, gerahmt vom Mehrauftrag des Reparaturbetons

 Abb. 22 Goetheanum in Doernach, erbaut 1928

Abb. 22 Goetheanum in Doernach, erbaut 1928

Im Jahr 1986 wurden die Betonfassaden des Silchersaales der Liederhalle in Stuttgart repariert und flächig durch den Auftrag des Chemieproduktes VP 1a-Schlämme vorbeugend geschützt. Infolgedessen gingen die originalen Betonoberflächen insgesamt verloren. Durch die Beschichtung hindurch zeichnen sich nur noch ausgeprägte Brettstrukturen ab, ein monochromes „Zementgrau“ beherrscht das Erscheinungsbild (Abb. 23).

Abb. 23 Im Jahr 1986 instand gesetzte und ganzflächig mit einer Schlämme beschichtete Betonfassade des Silchersaales der Liederhalle Stuttgart

Abb. 23 Im Jahr 1986 instand gesetzte und ganzflächig mit einer Schlämme beschichtete Betonfassade des Silchersaales der Liederhalle Stuttgart

Denkmalgeschützte Bauwerke wie die Antoniuskirche in Basel oder der Silchersaal der Liederhalle in Stuttgart erfordern das Berücksichtigen betontechnologischer und architektonischer Kriterien. Der Verlust an Authentizität zeigt sich im Großen wie im Detail (Abb. 24). Um den Abstandshalter der 50er Jahre in einer Betonfassade des Beethovensaales der Liederhalle ist das Feinkorn des Zementsteins verwittert. In dem gealterten Beton beleben die Eigenfarben der Zuschläge das Erscheinungsbild (Abb. 24).

Abb. 24 Abstandshalter und gealterter Beton in der Fassade des Beethovensaales der Liederhalle Stuttgart

Abb. 24 Abstandshalter und gealterter Beton in der Fassade des Beethovensaales der Liederhalle Stuttgart

VIII. Statisch-konstruktive Aspekte

Im Jahr 1914 wurde in Dresden der sogenannte Erlweinspeicher nach den Plänen des Stadtbaurats Hans Erlwein (1872-1914) als Tabaklager erbaut. Das Bauwerk besitzt mit 76 m Länge, 40 m Breite und 40 m Höhe beachtliche Dimensionen und mit 12 bis 20 kN/m² ein erhebliches Deckentragvermögen. Entsprechend haben die tragenden Querschnitte beträchtliche Abmessungen. Durch Feuer und korrodierende Bewehrung waren in Teilbereichen Tragverluste eingetreten. Als es in den 1990er Jahren darum ging, eine neue Nutzung für den Erlweinspeicher zu finden, wurden die verbliebenen Tragfähigkeiten und die statisch-konstruktiv am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen Konstruktion herausgearbeitet. Auf dieser Grundlage wurde in einer ersten Studie die Eignung zur Unterbringung einer Bibliothek und in einer zweiten die Eignung zur Umnutzung in ein Hotel untersucht. Ziel war es, auf der Grundlage des verbliebenen Tragvermögens des Bestandes Bausubstanz zu bewahren und Baukosten zu sparen (Abb. 25 und 26).

Abb. 25 Erlweinspeicher Dresden, erbaut 1914

Abb. 25 Erlweinspeicher Dresden, erbaut 1914

Abb. 26 Studie zur Nutzung des Erlweinspeichers als Hotel

Abb. 26 Studie zur Nutzung des Erlweinspeichers als Hotel

Die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt ließ in den 1930er Jahren in Berlin einen Windkanal zur Untersuchung von Flugzeugtriebwerken erbauen. Der Windkanal besteht aus massigen Betonskelettbauteilen und einer dünnen Schale als Raumabschluss. Während die Dimensionen der Skelettbauteile ein Betoninstandsetzen zulassen, führen Betonreparaturen in der dünnen Schale örtlich zum Totalverlust des Betons (Abb. 27).

Abb. 27 Windkanal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt Berlin, erbaut 1932 –

Abb. 27 Windkanal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt Berlin, erbaut 1932 –

In der Leichenhalle aus „naturfarbigem Cement-Kunststein“ der Sächsisch-Thüringischen Portland-Cement-Fabrik Prüssing & Co in Jena-Göschwitz kam es zu Schäden, weil die in den Mauerfugen der Gefache eingelegten Eisenbänder korrodierten, ihr Volumen sich vergrößerte und die davon ausgehenden Zerrungen mehrere Stützen abrissen. Das Ausräumen der Schadensursache erforderte das Ergründen der ganz spezifischen Eigenarten der konstruktiven Durchbildung (Abb. 28).

Abb. 28 Abriss in einer Stütze der Friedhofskapelle Jena-Göschwitz

Abb. 28 Abriss in einer Stütze der Friedhofskapelle Jena-Göschwitz

IX. Instandsetzungen

Bei der Betoninstandsetzung sind Normen, Richtlinien und Merkblätter zu beachten. Zu den wichtigsten zählen:

  • Richtlinie DAStb – Schutz und Instandsetzung von Bauteilen
  • DIN 18349 – Betonerhaltungsarbeiten (VOB Teil C)
  • ZTV-Riss – zusätzliche Technische Vorschriften für das Füllen von Rissen in Betonbauteilen
  • ZTV-SIB – zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen
  • DIN 1045 Beton und Stahlbeton, Bemessung und Ausführung
  • DIN 4227 Spannbeton, Richtlinien für Bemessung und Ausführung
  • DIN 18551 Spritzbeton, Herstellung und Güteüberwachung
  • DIN 4030 Beurteilung Beton angreifender Wässer, Böden und Gase
  • DIN 1048 Prüfverfahren für Beton
  • DIN 18540 Abdichten von Außenwandfugen im Hochbau mit Fugendichtungsmasse
  • DIN 18195 Bauwerksabdichtungen, Stoffe

Erfordert ein denkmalgerechtes, behutsames Betoninstandsetzen ein Abweichen von den Vorschriften, so ist das Vorgehen möglichst wissenschaftliche abzusichern, der Bauherr über die besondere Vorgehensweise aufzuklären, das Korrosionsverhalten der Bewehrung durch vergleichende Untersuchungen von schadhaften und intakten Betonflächen zu ergründen, der Reparaturmörtel auf die spezifischen mechanischen und bauphysikalischen Eigenschaften des Altbetons abzustimmen, eine intensive Bau- und Laborüberwachung vorzusehen und die ausführenden Handwerker in die spezifische Technologie des Instandsetzens einzuweisen.

X. Reprofilieren auf begrenzter Fläche

Das Reprofilieren auf begrenzter Fläche ist gemäß den Richtlinien und Normen zulässig. Die damit verbundenen Forderungen, einen kunststoffmodifizierten Zementmörtel (PCC-Mörtel) zu verwenden und eine Schutzbeschichtung als Karbonatisierungsbremse, die auf der Schadstelle und darüber hinaus auf der Oberfläche des Bauteils insgesamt aufzubringen ist, können im Fall einer denkmalgerechten Betoninstandsetzung nicht erfüllt werden.

Der erste Arbeitsschritt des Instandsetzens betrifft das Abgrenzen der zu reprofilierenden Stelle. Maßgebend sind die betontechnologischen Kriterien. Mitbestimmend können gestalterische Merkmale der Betonoberfläche sein. Eine Reparaturstelle fügt sich besonders gut in den Bestand ein, wenn sie örtliche Strukturen – Schalbrettabformungen, eine Nut oder die Grenze einer speziellen Oberflächenbearbeitung – aufnimmt. Schadstellen infolge korrodierender Bewehrung lassen sich in der Regel eindeutig abgrenzen. Durch Verwitterung geschädigter Beton erfordert gegebenenfalls mehrere Prüfdurchgänge, bevor an den Flanken und auf dem Grund des Ausbruchs ein Altbeton ansteht, der die einzuhaltenden Grenzwerte erfüllt.

Nach dem Anzeichnen der Schadstelle kann das Herauslösen des Betons durch mechanisches Schneiden und Stemmen oder durch Wasserstrahlen erfolgen. Das mechanische Trennen ist im Fall kleiner Schadstellen zu bevorzugen, bei denen es auf präzise Grenzen ankommt. Bei großen Schadstellen ist das Wasserstrahlen geeigneter, insbesondere wenn Bewehrung schonend freizulegen ist, Beim mechanischen Trennen ist die Reparaturstelle zunächst einzuschneiden, um beim Stemmen ein Lockern des Korngefüges am Rand des Ausbruchs zu vermeiden. Es folgen die Arbeitsschritte Entrosten durch Blankstrahlen, Korrosionsschutzanstrich, Besanden, Einarbeiten der Haftbrücke aus Zement, Sand und Wasser und Antrag des Reparaturmörtels frisch in frisch, noch bevor die Haftbrücke zu einer Trennschicht verdurstet ist. Der Reparaturmörtel wird im Fall kleiner Flächen vorteilhaft von Hand, bei umfangreichen Maßnahmen im Spritzmörtelverfahren aufgetragen. Nach dem Verdichten und Abziehen des Mörtels können Strukturen wie Schalbrettabdrücke eingeprägt werden. Eine steinmetzmäßige Oberflächenbearbeitung des Betons kann gegenüber der originalen Betonoberfläche einen Mehrauftrag erforderlich machen, der dann mit dem Spitzen, Scharieren oder Kröneln auf die Ebene des Altbeton zurückgearbeitet wird (Abb. 29). In besonderen Fällen sollte das Vorgehen in Vorversuchen erprobt und angepasst werden.

Abb. 29 Steinmetzmäßige Bearbeitung der Betonfläche nach dem Reprofilieren

Abb. 29 Steinmetzmäßige Bearbeitung der Betonfläche nach dem Reprofilieren

XI. Farbliche Abstimmung des Reparaturmörtels

Beim Reparieren auf begrenzter Fläche muss ein neuer Beton farblich auf einen alten, angewitterten Beton abgestimmt werden. Gealterter Beton ist in der Regel offenporiger, verschmutzt schneller und zieht bei Regen mehr Wasser als neuer. Die Farbe des Zementsteins und die Farben der Zuschlagsstoffe bestimmen das Farbbild des alten Betons, die Farbe des neuen Betons wird ganz wesentlich von der Farbe des Zementsteins beherrscht. Infolgedessen ist eine Farbanpassung zwischen altem und neuem Beton im Wesentlichen zunächst nur hinsichtlich des Grundfarbtons zu erzielen. Es sei denn, die reprofilierte Stelle wird steinmetzmäßig bearbeitet oder „künstlich“ gealtert. Andernfalls findet eine weitere Farbangleichung erst durch Verwitterung des neuen Betons statt (Abb. 30).

Abb. 30 Drei gleiche Mörtelproben, „2“ unbehandelt, „1“ wenig und „3“ mehr gesandstrahlt

Abb. 30 Drei gleiche Mörtelproben, „2“ unbehandelt, „1“ wenig und „3“ mehr gesandstrahlt

Der Farbwert des Zementsteins kann mit Hilfe des CIELAB-Farbraumes nach DIN 6174 ermittelt werden. In speziellen Fällen kann das Beschaffen in Form und Farbe geeigneter Zuschlagstoffe einen erheblichen Zeitaufwand in Anspruch nehmen (Abb. 31). Die Zuschlagstoffe sollten, wenn möglich, aus der bauzeitlichen Kiesgrube bezogen werden. Das war beim Instandsetzen des Beethovensaales der Liederhalle in Stuttgart zwar nicht möglich, da die bauzeitliche Kiesgrube zwischenzeitlich geschlossen worden war. Gleichwertig und gut geeignet aber erwies sich der Kies aus einer Nachbargrube, in der noch abgebaut wurde. Im Fall der Liederhalle mussten die Vorversuche aus terminlichen Gründen im Winter unter einer beheizten Einhausung durchgeführt werden. Die anfangs – auf der konvexen Seite des Beethovensaales – erreichte farbliche Abstimmung führte noch ein bisschen zu einem „Flickenteppich“. Das später auf der konkaven Seite erzielte Ergebnis zeigt eine gute Anpassung in der Gesamtwirkung und im Detail (Abb. 32 und 33). Ungleich bedeutender als die erzielte Farbangleichung ist das Ergebnis zu bewerten, dass 96 % der authentischen Betonfassaden des Beethovensaales erhalten werden konnten.

Abb. 31 Vorsatzbeton Speisehaus der Nationen Berlin

Abb. 31 Vorsatzbeton Speisehaus der Nationen Berlin

Abb. 32 Ergebnis der Reprofilierung im konkaven Abschnitt des Beethovensaales der Liederhalle Stuttgart

Abb. 32 Ergebnis der Reprofilierung im konkaven Abschnitt des Beethovensaales der Liederhalle Stuttgart

Abb. 33 Ergebnis der Reprofilierung im Detail

Abb. 33 Ergebnis der Reprofilierung im Detail

Die für das denkmalgerechte Reprofilieren auf begrenzter Fläche aufzuwendenden Kosten haben sich in den vergangenen Jahren erheblich verringert. Derzeit hat sich der Kostenaufwand für das Instandsetzen eines Quadratmeters Betonfläche bei etwa 1/6 bis 1/4 des Preises von vor etwa 15 Jahren eingependelt. Das bedeutet, dass ein denkmalgerechtes Reprofilieren auf begrenzter Fläche nicht teurer oder so gar kostengünstiger ist als ein Instandsetzen auf begrenzter Fläche einschließlich einer Karbonatisierungsbremse auf ganzer Betonfläche, wenn der Anteil der schadhaften Fläche nicht mehr als 15 bis 25 v. H. beträgt.

XII. Ersatzmaßnahmen

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die im Jahr 1908 in Osthofen erbaute Eisenbetonhalle als Konzentrationslager genutzt. Heute erinnert das Bauwerk als Gedenkstätte an geschehenes Unrecht. Auf die Täter weisen in einzelne Ziegelsteine neben der Tordurchfahrt geritzte Hakenkreuze und SS-Runen hin. Von den Haftbedingungen der Opfer vermitteln nur noch das Bauwerk und die Gebrauchsspuren in den Raumschalen einen Eindruck. Die frühe Eisenbetonausführung begründet die zweite Denkmaleigenschaft des Gebäudes. Die ca. 51 m lange und ca. 28 m breite Halle besitzt ein Pultdach mit geringem Gefälle von ca. 1,4 cm/m. Die Achsmaße der Stützen betragen in Längsrichtung 6,3 m und in Querrichtung 5,5 m. Die Decken sind zwischen 9,5 cm und 11,5 cm dünn. Nach unseren heutigen Konstruktionsregeln müssten sie etwa doppelt so dick sein. Die Unterzüge haben Querschnittsabmessungen von 25/35 cm. Teichförmige Sinterungen auf der Deckenunterseite signalisieren einen großen Durchhang der Deckenfelder. Gemessen wurden Durchbiegungen bis zu 10 cm, das entspricht etwa l/60 der Spannweite (Abb. 34).

Abb. 34 Auf den durchhängenden Deckenplatten der Papierfabrik in Osthofen bildeten sich „Teiche“, auf der Unterseite kam es zu Sinterungen

Abb. 34 Auf den durchhängenden Deckenplatten der Papierfabrik in Osthofen bildeten sich „Teiche“, auf der Unterseite kam es zu Sinterungen

Die Dachhaut aus zahlreichen Bitumenbahnen hatte eine Gesamtdicke von 60 mm. Eine Wärmedämmung gab es nicht. Wie erwartet, zeichnete sich die Lage der Unterzüge auf der Deckenoberseite in Rissen ab. Die Deckenbewehrung besteht aus kreuzweise angeordneten glatten Stäben mit einem Durchmesser von acht mm in Abständen von 13 bis 15 cm. Die Betondeckung liegt zwischen 23 und 27 mm. Eine obere Bewehrung gibt es nicht. Auf der abgeklebten Deckenoberseite wurde eine Karbonatisierungstiefe von etwa 15 mm, auf der Unterseite von 40 bis 60 mm gemessen. Obwohl die Karbonatisierungsfront weit über die Bewehrung hinaus vorgedrungen war, wiesen die Eisen nur in geringem Umfang Korrosion auf.

Die Unterzüge sind mit vier Eisen mit einem Durchmesser von 25 mm bewehrt. Von den vier Stäben in zwei Lagen sind die beiden oberen Eisen aufgebogen. Wenige S-Haken fixieren die Trageisen, Bügel gibt es nicht. In seiner Form und konstruktiven Durchbildung entspricht das Gefüge dem System Hennebique.

Abbildung 35 zeigt einen Stützenkopf mit Vouten und unten links im Bild einen Unterzug mit einem Eisen ohne Betonüberdeckung. Die Deckenfelder links und rechts dieses Unterzuges weisen Abformungen von Quetschfalten auf. Vermutlich hatte man zuvor beim Betonieren die Erfahrung gemacht, dass bei einer Schalung aus gesäumten Brettern Feinkornanteile durch den Brettstoß ausfließen und ein haufwerksporiger Beton zurückbleibt. Offensichtlich versuchte man durch Ölpapier (?) auf der Schalung Abhilfe zu schaffen – nur das Erhalten des authentischen Betons bewahrt ein solches Dokument. Die Betonüberdeckung im Abschnitt der Bewehrung ging nicht durch Korrosion, sondern durch Anprall eines Gabelstaplers verloren, als in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Halle als Lagerhalle genutzt wurde. Auch die Kanten der Stützen wurden in dieser Zeit bis hin zum Bruch einzelner Stützen beschädigt (Abb. 36).

Abb. 35 Rechts oben im Bild Schalbrettabformungen ohne, links unten im Bild mit aufgelegtem Ölpapier (?)

Abb. 35 Rechts oben im Bild Schalbrettabformungen ohne, links unten im Bild mit aufgelegtem Ölpapier (?)

Abb. 36 Stütze mit beschädigten Kanten und Betonummantelung zur Kaschierung eines Bruches

Abb. 36 Stütze mit beschädigten Kanten und Betonummantelung zur Kaschierung eines Bruches

Im Fall der Halle in Osthofen ging es vorrangig nicht um ein behutsames Reprofilieren von Schadstellen, sondern um das Instandsetzen nicht mehr ausreichend tragfähiger Stützen und Unterzüge und das Eingrenzen und Verbessern der Tragfähigkeit der Hallendecke. In den extrem schlanken Deckenplatten wurde rechnerisch die Streckgrenze der Bewehrung bereits im Lastfall Eigengewicht und Schnee erreicht. Um den Nachweis der tatsächlichen Tragfähigkeit zu erbringen, führten wir einen Belastungsversuch durch. Dazu wurden die beiden Versuchsfelder und die angrenzenden Deckenfelder mit einem Fanggerüst gesichert. Gemessen wurde mit Messuhren und Dehnungsmessstreifen (DMS). Die Versuchslast konnte wie vorgesehen aufgebracht werden. Dabei traten weder in den Deckenplatten, im Mittelunterzug noch in den Stützen Brüche oder örtliche Zerstörungen ein. Auf der Grundlage der Versuchsergebnisse wurde für den Bestand im Lastfall Eigengewicht und Schnee eine Tragsicherheit γ ~ 1,08 ermittelt. Eine Sanierung des Traggefüges erzielten wir durch einen zweischaligen Dachaufbau. Das tragende Dach führten wir als reversible Stahlkonstruktion aus Trägern IPB 160 und Trapezblechen aus. Die Dachdecke erhielt eine 60 mm dicke Wärmedämmung und eine Dichtung aus Flüssigkunststoff auf Polyuretanbasis (Abb. 37). Die Eisenbetondecke hat sich als „Unterdecke“ nur noch selbst zu tragen. Durch das Abräumen der Bitumenbahnen und einer Mörtelschicht auf der Dachdecke konnte das Eigengewicht um 0,3 kN/m² verringert werden. Ferner trug das Umlagern der Schneelast auf die neue Stahlkonstruktion zur Erhöhung der Tragsicherheit auf γ ~ 1,48 bei. Die baulichen Maßnahmen schützen die Betonbauteile vor eindringender Feuchte und verringern den Einfluss wechselnder Temperaturen, dabei bleibt das Erscheinungsbild des Hallenraumes unverändert. Im Außenbereich wurden die auf drei Seiten gegebenen Zinnen als Blende für den zweischaligen Dachaufbau genutzt. Der zusätzliche Dachaufbau wirkt sich optisch nur auf der Hofseite in einer angehobenen Traufe aus.

Abb. 37 Entlastung einer unzureichend tragfähigen Eisenbetondecke durch Leichtern und Lastumlagerung

Abb. 37 Entlastung einer unzureichend tragfähigen Eisenbetondecke durch Leichtern und Lastumlagerung

Ein Teil der Unterzüge weist über den Vouten Anrisse auf. Mit dem Traglastversuch konnte nur das Tragvermögen von zwei Deckenfeldern nachgewiesen werden.Um unvorhersehbare Unsicherheiten auszuschließen, hängten wir daher alle Unterzüge mittels Flacheisen an den Stahlträger über der Eisenbetondecke zurück, die einen Anriss aufwiesen. Die Raumschalen aus der Zeit der Konzentrationslagernutzung wurden mit allen Gebrauchsspuren belassen. Entsprechend wurden die schadhaften Unterzüge und Stützen ohne Anforderungen an die Farbigkeit der Reparaturbetone instand gesetzt (Abb. 38).

 Abb. 38 Rückverhängung der Eisenbetonunterzüge mit Anriss an der additiven Stahlträgerlage über der Hallendecke

Abb. 38 Rückverhängung der Eisenbetonunterzüge mit Anriss an der additiven Stahlträgerlage über der Hallendecke

Die Schäden im Hallenboden, die aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht belassen werden konnten, wurden in einer Schadensaufnahme erfasst und nach dem restauratorischen Prinzip des Instandsetzens auf begrenzter Fläche ausgebessert. Dabei wurde das Abgrenzen allerdings großzügig gehandhabt (Abb. 39).

Abb. 39 Schadensaufnahme als Grundlage für die Reparatur des Hallenbodens

Abb. 39 Schadensaufnahme als Grundlage für die Reparatur des Hallenbodens

In der im Jahr 1906 in Jena-Göschwitz erbauten Friedhofskapelle aus vorgefertigten Bauteilen wurden die korrodierenden Bandeisen aus dem Mauermörtel der Ausfachungen herausgelöst und die Risse und Fugen verpresst. Die Fußpfetten des Daches hatte man bauzeitlich jeweils in einem Trog auf der Wandkrone eingeschlossen. Auf beiden Traufseiten war Wasser aus den verstopften und schadhaften Standrinnen in den Trog eingedrungen. Die anhaltende Durchfeuchtung hatte zur Verrottung der Pfetten geführt. Die vermorschten Pfetten wurden ausgebaut, die Tröge bewehrt und zum Ringanker ausbetoniert.

Die aus Einzelteilen zusammengesetzten Säulen und Baluster der Kapelle wurden von einem mittig angeordneten, im Querschnitt quadratischen Eisenstab zusammengehalten. Korrodierende Eisen hatten einzelne Baluster zersprengt und Schäden an den Kapitellen der Portikussäulen verursacht. In den Säulen konnten die Eisen durch Überbohren entfernen und durch rostfreie Stähle ersetzen werden. Bei den Balustern gelang das nicht in allen Fällen. Vermutlich ließen sich die Werkstücke In der Feldeinrichtung nicht immer ausreichend genau zentrieren und sicher einspannen, so dass einzelne in der Taille abscherten (Abb. 40).

Abb. 40 Überbohrter Eisenstab einer Säule der Friedhofskapelle Jena-Göschwitz

Abb. 40 Überbohrter Eisenstab einer Säule der Friedhofskapelle Jena-Göschwitz

XIII. Bauteilerneuerung

Das 1927 nach Plänen von Le Corbusier und Pierre Jeanneret erbaute Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung Stuttgart wurde in der Zeit von 2003 bis 2005 instand gesetzt und für eine museale Nutzung hergerichtet. Das Bauwerk besitzt eine Dachterrasse mit einem Flugdach, das sich in Gebäudelängsrichtung über neun Deckenfelder erstreckt. Die Randträger des Flugdaches – auf der Straßenseite ein Unterzug, auf der Gartenseite eine Aufkantung mit Sporn – werden von Überzügen in den Stützenachsen getragen, so dass sich zwischen den Überzügen Tröge ergeben. Das Flugdach wurde über ein einziges Fallrohr in der Achse zwischen den beiden Hauseinheiten entwässert. Auf dem Wege zum Fallrohr musste das Regenwasser von Trog zu Trog im Durchmesser etwa 3 cm kleine Durchlässe durchlaufen. Die Abklebungen auf der Flugdachoberseite waren zeitweise undicht, die Durchlässe verstopft. Das Wasser staute sich in den Trögen, durchnässte den auf der Unterseite des Daches mit einer Spachtelschicht gesperrten Beton, die Bewehrung rostete und Frost entfestigte den Beton der etwa 7 cm dicken Bauteile. Da es allen fachlich Beteiligten ein besonderes Anliegen war, das Flugdach zu erhalten, wurden die Untersuchungen mit großer Sorgfalt durchgeführt. Wie im Fall korrodierender Bewehrung üblich, wurde zunächst eine etwa 2,5 m² große Fläche exemplarisch untersucht. Der schlechte Befund gab Veranlassung, die Untersuchung über eine größere Fläche auszuweiten. In mehreren Untersuchungsabschnitten wurden schließlich 92 Prozent des Flugdachdaches untersucht. Etwa 85 Prozent der Fläche erwiesen sich aufgrund des entfestigten Betons und des Ausmaßes der Korrosionsschäden bei geringer Bauteildicke als nicht reparabel (Abb. 41 und 42). Eine Gegenkontrolle anhand eines „Instandsetzungsplanes“ zeigte, dass im Fall einer Instandsetzung die zu bewahrenden Flächen nicht größer als 0,1 bis 0,4 m², in einem Einzelfall auch einmal 0,7 m², sein würden. Erst als dieses Ergebnis vorlag, wurde die Entscheidung getroffen, das Flugdach abzubauen und zu erneuern.

Abb. 41 Bauzustand des Flugdaches auf der Dachterrasse des Le Corbusier-Doppelhauses in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart

Abb. 41 Bauzustand des Flugdaches auf der Dachterrasse des Le Corbusier-Doppelhauses in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart

Abb. 42 Bau- und Schadensaufnahme Flugdach

Abb. 42 Bau- und Schadensaufnahme Flugdach

In der Zeit von 1922 bis 1925/26 wurde in Vöhrenbach im Schwarzwald die Linachtalsperre in „aufgelöster Bauweise“ erbaut: Der bei massiven, schwergewichtigen Sperrbauwerken trapezförmige Mauerquerschnitt wurde in Tonnengewölbe, Wandscheiben und Riegel aufgelöst. Auf der Wasserseite sperren 13 kreisbogenförmige, bis zu etwa 25 m hohe Tonnen aus Eisenbeton das Tal. Auf der Luftseite streben Betonscheiben, die von horizontalen Riegeln ausgesteift werden, die Tonnen ab. Auf der Mauerkrone verbindet ein ca. 143 m langer Fußgängersteg die Gewölbe (Abb. 43 und 44).

Abb. 43 Wasserseite der Linachtalsperre Vöhrenbach

Abb. 43 Wasserseite der Linachtalsperre Vöhrenbach

Abb. 44 Luftseite der Linachtalsperre Vöhrenbach

Abb. 44 Luftseite der Linachtalsperre Vöhrenbach

Die Untersuchungsgeschichte der Linachtalsperre beginnt, als es in Frejus in den 1950er Jahren bei einem gleichartigen Sperrenbauwerk zur Katastrophe kommt. Im Jahr 1963 fordert die Bauaufsichtsbehörde für die Linachtalsperre ein Absenken des Wasserspiegels um 10 m. Obwohl in einem Gutachten aus dem Jahr 1966 und in späteren Gutachten aus dem Jahr 1989 die Standsicherheit des Bauwerks grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird, wird der Stausee 1988 abgelassen.

1999 erfolgt erneut eine gutachterliche Stellungnahme zur Sanierung der Linachtalsperre. Ihr liegen die Untersuchungsergebnisse aus dem Jahr 1988 zu Grunde, die betontechnologisch eine Sanierbarkeit grundsätzlich bestätigen. Im Jahr 2003 wird in ergänzenden Untersuchungen exemplarisch der Schadenszuwachs seit 1988 ermittelt und das Schadensausmaß insgesamt auf der Grundlage visueller Prüfungen der übrigen Gewölbe hochgerechnet. Um den tatsächlichen Instandsetzungsaufwand und die damit verbundenen Kosten zu verifizieren und die Technologie der Instandsetzung zu erproben, war vorgesehen, vor der eigentlichen Bauausführung ein Joch exemplarisch instand zu setzten. Aus einer Reihe von Gründen wurden die bereits ausgeschriebenen und vergebenen Probearbeiten dann aber nicht ausgeführt. Infolgedessen stellte sich erst während der Ausführung heraus, dass sich in der Tiefe der Gewölbe Verwitterungsschäden und minderfeste Betone örtlich in unvorhersehbarer Weise überlagert hatten. Das machte es erforderlich die Eigenschaften des Betons an den Flanken und auf dem Grund der Ausbrüche in mehreren Durchgängen zu prüfen und nachzuarbeiten, bis ein Altbeton angetroffen wurde, auf dem die Reprofilierung aufgebaut werden konnte. Unvorhersehbare Massenmehrungen waren die Folge, an denen auch eine verfeinerte und angepasste Technologie des Wasserstrahlens nicht wesentlich etwas änderte.

Die Dicke der Tonnen der Linachtalsperre nimmt von der Mauerkrone bis zum Übergang zum Hufstück kontinuierlich von 40 cm auf 60 cm zu. In Relation dazu war die Schichtdicke entfestigter und minderfester Betone gering, so dass immer ausreichend Beton verblieb, um darauf eine Reprofilierung aufzubauen. Im Unterschied dazu scheiterte ein Instandsetzen des Flugdaches auf dem Le Corbusier-Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung an einer fehlenden Altbetonmasse.

XIV. Zusammenfassung

Alte Bauten sind Unikate. Ob ein behutsames Instandsetzen von Betonbauteilen durch Reprofilieren auf begrenzter Fläche möglich und geeignet ist, muss von Fall zu Fall geprüft werden. Abzuwägen sind betontechnologische, architektonisch-denkmalpflegerische und statisch-konstruktive Aspekte. Ferner ist der Bauwille des Bauherrn zu berücksichtigen.

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Literatur:

Adlbert, Georg (Hrsg.), Baudenkmale der Moderne, Le Corbusier / Pierre Jeanneret, Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung Stuttgart, Ludwigsburg und Stuttgart 2006

Bargmann, Historische Bautabellen, Düsseldorf 1993

Betonkalender 1991 Teil II

Hilsdorf, Hubert K. und Martin Günter, Linachtalsperre bei Vöhrenbach, Betontechnologische Untersuchung und Vorschlag von Instandsetzungskonzepten, Karlsruhe 1989, unveröffentlicht

Grunsky, Eberhard, Zur Denkmalbedeutung der Liederhalle, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2/1987

Hassler, Uta (Hrsg.), Häuser aus Beton, Vom Stampfbeton zum Großtafelbau, Dortmund und Berlin 2004

Müller, Harald S. und Ulrich Nolting (Hrsg.), Instandsetzung bedeutsamer Betonbauten der Moderne in Deutschland, Karlsruhe 2004

Pörtner, Rudolf, Liederhalle Stuttgart, Instandsetzung der Betonfassaden des Beethovensaales, in: Konservatorenauftrag und heutige Denkmalherausforderung, Heidelberger Tagung 1993

Pörtner, Rudolf, Behutsame Betonsanierung von Baudenkmälern, in: Betoninstandsetzung 2000, Berichtsband der 5. internationalen Fachtagung, Innsbuck und Berlin 2000

Pörtner, Rudolf und Werner Seim, Gutachterliche Stellungnahme zur Sanierung der Linachtalsperre in Vöhrenbach im Schwarzwald, Karlsruhe 1996, unveröffentlicht

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