Denkmal(s)licht

_ von Jörg Baumeister

 

Licht und Architektur sind eng verknüpft. Licht wird erst auf den Oberflächen der Architektur sichtbar. Oder umgekehrt: Architektur wird erst durch Licht sichtbar. Aus dieser Abhängigkeit entwickelten sich in der Geschichte gemeinsame Architektur- und Beleuchtungsstile.

Bei der Betrachtung von Baudenkmalen als Zeugnissen eines spezifischen Stils muss deshalb die zugehörige Beleuchtung eingegliedert sein. Geschichtliche Identität eines Baudenkmals bedeutet auch Authentizität seiner Beleuchtung.

I. Tageslicht

Für Tageslicht klingt diese Forderung zuerst einmal selbstverständlich. Denn Öffnungsgrößen eines Gebäudes definieren das originale Tageslichtniveau im Innenraum. Doch sobald Nutzerbedürfnisse einbezogen werden beginnt ein Abwägungsprozess: Es ergeben sich zusätzliche Parameter wie Sonnen- und Blendschutz oder die Frage nach effektiverer Verglasung, die in die Planung integriert werden müssen. Für den Fall von Tageslicht-Mangel besteht die Möglichkeit mit Kunstlicht zuzuleuchten (s. u.) oder – falls überhaupt denkmalpflegerisch vertretbar – von Tageslicht-Lenksystemen durch abgeschrägte Brüstungen, Lamellensysteme, Light Shelves (Lichtschwerter), Glasprismen, Umlenkspiegel, Lichtlenkgläser oder auf Glas gedampften Hologramm-Filme (1).

II. Kunstlicht-Strategien

Die Kunstlichtplanung bei Denkmalen berücksichtigt mehr Variable und ist deshalb weit komplexer als die Tageslichtplanung. Deshalb wird die Kunstlichtplanung in diesem Rahmen schwerpunktmässig behandelt. Ob und wieweit sich Kunstlicht an neue und höhere Ansprüche anzupassen hat, ist nicht allgemeingültig zu entscheiden. Deshalb können nur potentielle Strategien im Zusammenhang mit einer Bestandsanalyse erörtert werden:

  • Strategie S1 „original“: Konservieren der Original-Beleuchtung
  • Strategie S2 „bedingt original“: Konservieren mit Ergänzungen durch z. B. visuell nicht wahrnehmbaren oder flexible angebrachte, zusätzliche Leuchten
  • Strategie S3 „scheinbar original“: Rekonstruktion der Beleuchtung (nicht historisierend!)
  • Strategie S4 „nicht original“: Modernisierung der Beleuchtung mit neuem Lichtkonzept

Grundsätzlich ist bei der Wahl der Strategie wie bei allen denkmalpflegerischen Entscheidungsprozessen zu bedenken, dass Baudenkmale nicht aufgrund ihrer Schönheit konserviert werden sondern weil sie „kulturelle Werte und geschichtliche Identität vermitteln“. Deshalb muss auch deren Beleuchtung „den schwankenden ästhetischen, sogar kunsthistorischen Urteilen entzogen werden“(2). Auch wenn es nicht dem populären Geschmacksurteil entspricht.

III. Lichtkonzept

Erforderliche Beleuchtungsstärken können errechnet und mit den Messungen der Originalbeleuchtung – falls noch verfügbar – verglichen werden. In Abhängigkeit zur projektierten Nutzung fließen Faktoren wie Wirtschaftlichkeit, technische Aufrüstung, Position der Kabelkanäle, gesetzliche Vorschriften und Empfehlungen etc. ein. Zusätzlich sind Gütekriterien zu berücksichtigen: Farbechtheit, also die Auswirkung des Lichtes auf den Farbeindruck von Objekten, und das Vermeiden von Blendung – entweder unmittelbar hervorgerufen durch Lichtquellen im Gesichtsfeld (Direktblendung), verursacht durch Spiegelung hoher Leuchtdichten auf glänzenden Oberflächen (Reflexblendung) oder durch ein zu helles Umfeld (Kontrastblendung) (3).

Doch neben diesen technischen Faktoren ist die Analyse der originalen Lichtstimmung Grundlage eines denkmalgerechten Beleuchtungskonzeptes. Lichtstärke, Lichtausrichtung und Lichtfarbe bestimmen diese Lichtstimmung. Folgende Fragen können dabei helfen: Wie groß sind die Lichtstärken? In welchem Verhältnis stehen Tages- und Kunstlicht? Handelt es sich um ein gleichmäßiges oder ungleichmäßiges Lichtniveau? Welche Relation besteht zwischen direktem und indirektem, zwischen gerichtetem und diffusem Licht? Wird flächig, akzentuell oder schichtig beleuchtet? Wie viel Schatten ist gewollt? Welche Raumerlebnisse werden erwartet? Wie verhält sich die Lichtfarbe zu den Oberflächen des Baudenkmales? Inwiefern sind technische Geräte und Leuchten sichtbar? Wie komplex soll beleuchtet werden? Welche Wirkung soll erzielt werden: z. B. eine kühle, theatralische oder sinnliche Lichtstimmung?

In Abhängigkeit zur gewählten Strategie findet sich das Lichtkonzept. Es sollte immer so zurückhaltend wie möglich sein und hinter die Architekturidee zurücktreten, das architektonische Gestaltungskonzept unterstützen.

IV. Simulation

Während der Entwicklung des Lichtkonzeptes, als Diskussionsgrundlage und für Zwischen-Präsentationen bieten sich Licht-Simulationen an.

  • Skizzen: schnell und abstrakt, schwarz-weiß oder farbig (häufig gelb = Licht), als Übermalung oder roh.
  • Modelle: zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Licht und Raum wobei sich für genauere Aussagen die Reflexionsgrade von Modellbaumaterial und tatsächlichen Oberflächen ähneln müssen.
  • Mock-ups: für Simulationen im Maßstab 1-1, z. B. zur Untersuchung der Lichtverteilung bei einem Leuchten-Prototyp.
  • Renderingprogramme: photorealistisch (z. B. Nemetschek) oder über physikalische Lichtberechnungsverfahren (z. B. FormZ, Dialux, SIVIEW), die das Verhalten des Lichts möglichst genau nachvollziehen sollen.

Zu beachten ist, dass Faktoren wie z. B. Farbton, Helligkeit und Sättigung der Oberflächen bei allen Simulationsarten nur unzureichend simuliert werden können. Deshalb sind Lichtproben unumgänglich, bei denen Oberflächen-Eigenschaften, Raumwirkungen, Lichtstimmungen vor Ort untersucht werden.

V. Umsetzung 1

Für die Produktion von Lichtstimmungen werden sinnvollerweise zuerst die Lichtquellen, also die Lampen, bestimmt. Spezial-Anforderungen für Baudenkmale wie z. B. geringe Wärmebelastung oder komplizierte Lampenwechsel müssen dabei oft berücksichtigt werden. Im Allgemeinen sind die wichtigsten Auswahlkriterien:

  • die Lichtfarbe, Weißtöne klassifiziert in ww:warmweiß (gemütlich), nw:normalweiß (sachlich), tw:tageslichtweiß (fahl)
  • die Farbewiedergabe, klassifiziert in 1 = naturgetreu bis 4 = schlecht
  • die Lichtausbeute angegeben in Lumen/Watt
  • die Lebensdauer angegeben in Stunden
Lampentyp Lichtfarbe Farbwiedergabe Lichtausbeute Lebensdauer Einsatzbeispiele
Glühlampe ww – nw 1 6 – 16 1.000 Wohnungsbau
Halogenglühlampe ww – nw 1 10 – 19 2.000 Gewerbe, Museum
Leuchtstofflampe ww – tw 2 – 3 92 – 104 14.500 Gewerbe, Museum, Sporthalle
Kompakte Leuchtstofflampe ww – tw 2 – 3 61 – 88 12.000 Wohnungsbau
Natriumdampf- Niederdrucklampe gelb 3 – 4 98 – 181 8.000 Objektschutz, Außenraum
Natriumdampf-Hochdrucklampe gelb bis nw 3 39 – 138 16.000 Industriehalle, Außenraum
Quecksilber-Dampflampe bläulich-weiß 3 – 4 51 6.000 Foyer, Verkaufsraum, Außenraum
Halogen-Metall-dampflampe ww – tw 2 67 – 80 12.000 Verkaufsraum, Ausstellungsraum, Außenraum
LED weiß und Farb-Mischung 1 30 -50, bald 100 bis 50.000 Innen- und Außenraum, Lichttechnik der Zukunft

Tabelle: Lampentypen mit Beschreibung (4, 5, 6)

 

VI. Umsetzung 2

Den gewählten Lampen werden Leuchten zugeordnet. Sie unterscheiden sich durch Bauart und Reflektoren. Natürlich fließen dabei auch ästhetische Kriterien des Leuchtendesigns ein. Doch wichtigere Kriterien für die Konstruktion von Lichtstimmungen sind: – die Art des Beleuchtens: Fluten (washer), Akzentuieren mit Strahlern, Projektion, Orientierungs- und Hinweisbeleuchtung – die Lichtanwendungen: Wand, Decke, Nutzfläche (z. B. Arbeitsplatz), Boden, Objekt – die Richtung: direkt gerichtet, direkt diffus, indirekt, direkt und indirekt – die Anbringung: Einbau-, Aufbau-, Pendel-, Steh-, Tischleuchte, Stromschienen (7) Zubehör wie Linsen und Filter ermöglichen weitere Spezifikationen für den Einsatz in Baudenkmalen. Eine gleichmäßigere Ausleuchtung wird durch Flood-Linsen erreicht, eine plastischere Wirkung mit Skulpturenlinsen. Filter können als UV-Filter vor ausbleichenden UV-Strahlen schützen, Licht weicher verteilen und Blendung verhindern. Auf die Lichtfarbe der Lampe abgestimmte Farbfilter lassen nur die gewünschten Licht-Spektren passieren.

VII. Umsetzung 3

Der Einbau neuer Kabelkanäle bedeutet immer Verluste der Original-Substanz des Baudenkmales. Deshalb ist eine Suche nach alternativen Wegen der Elektroverteilung sinnvoll. So können sich Einbauten oder neue Böden anbieten.

Zu prüfen ist auch der Einsatz von Lichtsteuerungen. Dadurch lässt sich die Beleuchtung äusseren Umständen anpassen, zudem Architektur gestalten und interpretieren. Abläufe werden damit entweder vom Nutzer aktiv beeinflusst oder kalendarisch bzw. über Sensoren gesteuert und geregelt. Außerdem können Lichtszenen abgerufen werden. So besteht z. B. die Möglichkeit eines Wechsels zwischen nutzer- und denkmalgerechten Lichtszenen. Es muss individuell entschieden werden, ob und inwieweit Lichtsteuerung sinnvoll und denkmalpflegerisch vertretbar ist.

VIII. Architekt und Lichtplaner

„Licht ist ein Thema, das mich selbst wahnsinnig interessiert, weil es Architektur ist. Da will ich keinen (Lichtplaner) dabei haben. Mir genügt ein Fachingenieur für Elektroplanung“ (8). Nachdem der Architekt vom Elektroplaner die quantitativen Vorgaben erhalten hat, wählt er die Leuchten und Leuchtmittel aus. Kriterien könnten sein: Design der Leuchte, Wartungsperioden, Lebensdauer oder der Energiebedarf. Im Idealfall denkt er in Lichtstimmungen.

Lichtplaner können im Team mit dem Architekten vom Lichtkonzept bis zur Realisierung sehr helfen. Die Konstruktion von Lichtstimmungen ist das Tagesgeschäft des Lichtplaners, warum also nicht – besonders bei der komplexen Arbeit mit Baudenkmalen – von seiner Erfahrung profitieren und mit ihm individuelle Lösungen finden? Für eine optimale Qualität sollten sich Architekten und Lichtplaner zusammen an das Bauwerk herantasten, kämpfen und freuen.

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Anhang 1: Normen

DIN EN 12464-1:2003 Licht und Beleuchtung, Beleuchtung von Arbeitsstätten, Teil 1: Arbeitsstätten in Innenräumen Inhalt: Festlegung der Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten in Innenräumen unter Berücksichtung der Sehleistung und des Sehkomforts. Einbeziehung aller üblichen Sehaufgaben einschließlich der Sehaufgaben am Bildschirm.
DIN EN 12665:2002 Licht und Beleuchtung, Grundlegende Begriffe und Kriterien für die Festlegung von Anforderungen an die Beleuchtung Inhalt: Definition der gebräuchlichsten Begriffe für viele Licht-Anwendungen mit Kurzzeichen und Maßeinheiten.
DIN EN 1838:1999 Angewandte Lichttechnik, Notbeleuchtung Inhalt: Angabe über die lichttechnischen Anforderungen an Notbeleuchtungssysteme. Unterscheidung in Sicherheitsbeleuchtung und Ersatzbeleuchtung.
DIN EN 60598-1:2001 + A11:2001 Leuchten, Teil 1: Allgemeine Anforderungen und Prüfungen Inhalt: Beschreibung der Einteilung von Leuchten, deren mechanischer und elektrischer Aufbau, die entsprechenden Prüfungen und die notwendigen Aufschriften. Arbeitsstätten-Richtlinie 5.007.3: Künstliche Beleuchtung (10) Inhalt: Begriffdefinition und allgemeine Bemerkungen, Prüfung von Beleuchtungseinrichtungen, Messung der Beleuchtungsstärke, umfangreiche Tabellen der nutzungsabhängigen Nennbeleuchtungsstärken
Kommentar: Ein Ziel von Normen ist der ökonomische Einsatz der Lichtmenge. Ihre Grundlage bildet die Physiologie des menschlichen Auges. Darauf beruht quantitative Lichtplanung. Sie begnügt sich damit, der schwierigsten zu erwartenden Sehaufgabe gerecht zu werden und Störungen wie Blendung und Farbverfälschung auszuschließen. Qualitative Lichtgestaltung entsteht durch das Wechselspiel zwischen Mensch, umgebendem Raum und vermittelndem Medium Licht. Sie bezieht nicht nur die physiologische Sehaufgabe ein, sondern berücksichtigt psychologische Komponenten wie Sicherheits- und Kommunikationsbedürfnisse oder den Anspruch auf einen definierten Privatbereich. Auch die ästhetische Wirkung der Beleuchtung von Raumstruktur oder einzelnen architektonischen Elemente kann nicht über angewandte Beleuchtungsregeln umgesetzt werden.

Anhang 2: Literatur

– Baatz, Willfried: Gestaltung mit Licht, Urania, Stuttgart, 1994, ISBN: 3332017020 (Einführung in das Thema)
– Brandi, Ulrike / Geissmar-Brandi, Christoph: Lichtbuch. Die Praxis der Lichtplanung, Birkhäuser Verlag, 2001, ISBN: 3764363029 (Sichtweise von Lichtplanern)
– Flagge, Ingeborg: Jahrbücher Licht und Architektur, z. B. Jahrbuch 2001/2002, Verlagsges. Müller, 2002, ISBN: 3481016948 (gute Beschreibung einzelner Beleuchtungslösungen)
– Ganslandt, Rüdiger / Hofmann, Harald: Handbuch der Lichtplanung, Vieweg, 1992, ISBN: 3528088958 (ein Klassiker)
– Keller, Max u. a.: Handbuch der Bühnenbeleuchtung, DuMont Reiseverlag Ostfildern, 1985, ISBN: 3770115791 (Lernen von der Bühnenbeleuchtung)
– Major, Mark / Speirs, Jonathan / Tischhauser, Anthony: Made of Light. The art of light and architekture, Birkhäuser, 2005, ISBN: 3764368608 (allgemeiner Überblick)
– Schulz, Andreas: Licht, Kunst, Licht. Lichtdesign für Architektur, Av Edition, 2005, ISBN: 3899860519 (Lichtszenographien für Museen und Verwaltungen, öffentliche Bauten und private Lebensräume)
Zeitschriften:
– Licht. Pflaum Verlag, München
– Licht, Architektur, Technik. Bauverlag BV GmbH, ASIN: B00006LQTV
– Publikationen der Fördergemeinschaft Gutes Licht Frankfurt / Main, Westermann Verlag
– Highlight, Highlight Verlagsgesellschaft Rüthen

Quellenverzeichnis:

(1) Quelle: Veröffentlichung Beleuchtungsplanung mit Tageslicht, TU Berlin, Fachbereich Lichttechnik, 2003
(2) Zitat Ursula Baus in Bauwelt 4/06 S. 18
(3) siehe DIN EN 12665:2002
(4) Ganslandt, Rüdiger / Hofmann, Harald: Handbuch der Lichtplanung, Vieweg, 1992
(5) Angaben der Fördergemeinschaft Gutes Licht, Frankfurt / Main
(6) Angaben des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V., Frankfurt / Main
(7) weiter Informationen bei Leuchtenherstellern, z. B. www.erco.de
(8) Arno Lederer in einem Interview mit Wolfgang Bachmann im Baumeister 3/06, S. 64
(9) www.licht.de (Die Originaltexte der Normen können bestellt werden bei Beuth-Verlag, 10787 Berlin oder bei VDE-Verlag, 10625 Berlin)

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