Denkmalpflege in Deutschland

Wandlungen, Kultur und Denkmalbegriffe

_ von Jürgen Tietz

 

Im 19. Jahrhundert ergriff ein rasanter Industrialisierungsprozess Europa, der auch die Städte und Landschaften des Kontinents grundlegend veränderte. Er ging mit der Entwicklung neuer Bauaufgaben und -materialien einher. So entstanden Fabriken und Arbeitersiedlungen aber auch zahlreiche öffentliche Gebäude. Eisen, Stahl, Glas und Beton verdrängten immer mehr die traditionellen Baumaterialien Holz und Backstein. Der tiefgreifende gesellschaftliche und kulturelle Wandlungsprozess des 19. Jahrhunderts spiegelte sich auch im Umgang mit den architektonischen Zeugnissen der Vergangenheit wider. Der fortschreitende Verlust der vertrauten Umgebung ging in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern mit dem aufkeimenden Bedürfnis einher, historische Bauten und Landschaften vor ihrer endgültigen Zerstörung zu schützen. Es entstanden zwei Strategien, um die Veränderungen durch den Industrialisierungsprozess zu kanalisieren: die Heimatschutzbewegung und die Denkmalpflege. Die um 1900 aufkeimende Heimatschutzbewegung sorgte mit ihrem strengen Reglementierungskatalog dafür, dass sich Neubauten in das über Jahrhunderte gewachsene Erscheinungsbild der Städte und Dörfer besser einfügten. Zugleich bemühte sich die Denkmalpflege darum, die vorhandenen baulichen Dokumente der Vergangenheit vor Entstellungen, Veränderungen oder der Zerstörung zu bewahren.

I. Methodendiskurs

Erste Ansätze einer systematischen Denkmalpflege entwickelten sich in Deutschland bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Um 1900 aber kam es zu einer grundlegenden Veränderung im denkmalpflegerischen Umgang mit historischen Gebäuden. Im Zusammenhang mit der Kritik an der Architektur des Historismus, die die Stile vergangener Epochen nachahmte, trat die Forderung nach einer einfacheren Baukunst, nach einem neuen eigenständigen Stil.1 Zugleich wurde die bis dahin gängige Restaurierungspraxis des Historismus in Frage gestellt. An die Stelle einer „stilreinen“ Restaurierung und Rekonstruktion von Gebäuden traten andere Bewertungskriterien. Dabei baute die Diskussion im deutschsprachigen Raum auf früheren Erfahrungen auf, die bereits in Frankreich und Großbritannien gesammelt worden waren.2 Eine besondere Bedeutung kommt John Ruskin (1819-1900) zu, der im „Leuchter der Erinnerung“ seines Buches „Sieben Leuchter der Baukunst“ feststellte, dass es zwei Pflichten in Bezug auf die Architektur gebe: “Die erste besteht darin, die Baukunst der Gegenwart „historisch“ (nämlich „unsere Zeit“ ausdrückend) zu machen; die zweite, die der Vergangenheit als die Kostbarste aller Erbschaften zu erhalten.“3

Der österreichische Kunsthistoriker Alois Riegl (1858-1905) arbeitete den „Alterswert“ als entscheidendes Bewertungskriterium für Bauwerke heraus.4 Demgegenüber hob der Historiker und Mitbegründer der modernen Kunstgeschichte Georg Dehio (1850-1932) aufbauend auf Ruskins Schriften hervor, dass die Substanz des Denkmals und seine Zeitschichten die Grundlagen des Denkmalbegriffs bilden. Folgerichtig gipfelten seine Überlegungen in der viel zitierten und bis heute gültigen denkmalpflegerischen Handlungsmaxime: „Konservieren, nicht restaurieren“.5 Nur so erschien es Dehio auf Dauer möglich, die gewachsene historische Bedeutung eines Denkmals auch für zukünftige Generation ohne verfälschende bauliche Eingriffe zu überliefern. Der Wiener Konservator Max Dvorak (1874-1921) gab in seinem „Katechismus der Denkmalpflege“ nicht nur einen klaren Handlungsfaden, wie mit Baudenkmalen angemessen umzugehen sei. Er führte zudem in einem ausführlichen Bildteil anschaulich zahlreiche Beispiele für vorbildliche Erhaltung von Denkmalen vor aber auch Beispiele für deren Zerstörung.6

Diese neuen Ansätze beschrieben um 1900 allerdings keineswegs die Position der gesamten Denkmalpflege, sondern wurden auf Tagungen kontrovers diskutiert. Ablesen lässt sich dies an dem Streit um die Rekonstruktion des Heidelberger Schlosses, der schließlich im Sinne Georg Dehios durch die Erhaltung der Ruine entschieden wurde.7

II. Moderne und „Drittes Reich“

Hatte sich die Heimatschutzarchitektur bereits vor dem Ersten Weltkrieg durch ihre ausführlichen Reglementierungen und die einflussreiche lokale Bauberatung intensiv in den aktuellen architektonischen Diskurs der Zeit eingemischt, so spielte sie vor allem in ländlichen Regionen Deutschlands auch nach 1918 weiter eine wichtige Rolle. Während die meisten Bauten weiterhin eher ein traditionelles Erscheinungsbild erhielten, gewannen daneben die Architektur des Expressionismus und vor allem die unterschiedlichen Strömungen des Neuen Bauens zunehmend Einfluss. Sie stellten die überlieferte Architektur und deren städtebaulichen Konzepte radikal in Frage. Zu den wichtigsten Veränderungen zählte der Massenwohnungsbau. Mit ihm sollte der nach 1918 herrschenden Wohnungsnot Abhilfe geschaffen werden. An die Stelle des traditionellen Baus von Mietskasernen trat die offene Zeilenbauweise. Während dieses architektonischen Innovationsschubs in der Weimarer Republik spielte die Denkmalpflege lediglich eine untergeordnete Rolle. Nur wenige Vertreter der Moderne reflektierten in dieser Zeit das Neue Bauen kritisch und diskutierten wie der Schweizer Peter Meyer das Verhältnis zwischen Moderne und Tradition.8

Nach 1933 ließ sich nicht nur die Heimatschutzbewegung mit ihren führenden Protagonisten wie Paul Schultze-Naumburg (1869-1949) durch die Nationalsozialisten vereinnahmen und politisch instrumentalisieren, sondern auch die Denkmalpflege. Bedeutende Denkmale wie der Braunschweiger oder der Quedlinburger Dom wurden unter Mitarbeit der zuständigen Denkmalpfleger entsprechend dem gleichgeschalteten Geschichtsbild der Nationalsozialisten baulich verändert.9 Ein differenziertes denkmalpflegerisches Vorgehen im Sinne von Dehio und Dvorak war unter diesen Rahmenbedingungen kaum möglich. Auch spielten denkmalpflegerische Überlegungen keinerlei Rolle, wenn es um die Verwirklichung nationalsozialistischer Prestigeprojekte ging. Das gilt für die Zerstörung des „Deutschen Stadions“ von 1913 in Berlin durch den Neubau des Olympiastadions von Werner March ebenso wie für die Flächenabrisse im Tiergarten-Viertel der deutschen Hauptstadt, die durch die Generalbauinspektion Albert Speers für die geplante Umgestaltung Berlins zu „Germania“ vorgenommen wurden.

Filigrane Moderne: Nur dank großen öffentlichen Engagements blieb das Olympiastadion in München vor entstellenden Umbauten verschont

Filigrane Moderne: Nur dank großen öffentlichen Engagements blieb das Olympiastadion in München vor entstellenden Umbauten verschont

Zum Verlust von Denkmalsubstanz in einem zuvor unbekannten Ausmaß kam es durch den Zweiten Weltkrieg, in dessen Verlauf nicht nur einzelne Denkmale beschädigt oder zerstört wurden, sondern ganze Städte ihrer historischen Bauten beraubt wurden.

III. Wiederaufbau nach 1945

Nach 1945 kamen beim Wiederaufbau der deutschen Städte sehr unterschiedliche Strategien zum tragen. Dabei stützte man sich in manchen Städten sogar auf Planungen, die bereits während des „Dritten Reichs“ entwickelt worden waren.10 Die unterschiedlichen Wiederaufbauszenarien reichten vom weitgehenden Neubau der Stadtzentren (Berlin Ost und West, Dresden, Neubrandenburg, Pforzheim) bis zur vergleichsweise engen Anlehnung an die verlorene Bebauung (Münster, München). Diese grundsätzlich unterschiedlichen Ansätze lassen sich auch im Umgang mit Einzelbauten ablesen. Die Diskussion um die Rekonstruktion des Frankfurter Goethehauses führt dabei vor Augen, auf welch hohem politischen und moralischen Niveau in der unmittelbaren Nachkriegszeit diskutiert wurde. Gleichwohl blieben die noch heute berührenden Appelle des Architekten Otto Bartning (1883-1959) und des Publizisten Walter Dirks (1901-1991) gegen eine Rekonstruktion des Geburtshauses Goethes ungehört, das nach seiner Totalzerstörung wieder aufgebaut und 1951 eingeweiht wurde.

Ein anderes Vorgehen zeigt der von Gerhard Langmaack (1898-1986) wieder aufgebaute Dom im ebenfalls stark zerstörten Kiel, der bis heute dem Betrachter eine Synthese aus Bewahrung der erhaltenen Teile und einer zeitgemäßen modernen Ergänzung präsentiert. Ein verwandter Ansatz lässt sich bei der Alten Pinakothek in München erkennen, die Hans Döllgast (1891-1974) wiederaufbaute. Auch hier sind die Beschädigungen des Baus bis heute an der Ergänzung der Bausubstanz ablesbar geblieben. Beim Wiederaufbau des bedeutenden Augsburger Renaissance Rathauses des Elias Holl entschied man sich zunächst dafür, den Goldenen Saal in einem „rohen“ Zustand des Wideraufbaus zu belassen, ehe man die Dekoration in den achtziger Jahren doch rekonstruierte – wodurch die Denkmalschicht der Nachkriegszeit zerstört wurde.

Exemplarische Nachkriegsdenkmalpflege: Hans Döllgasts Wiederaufbau der Alten Pinakothek in München

Exemplarische Nachkriegsdenkmalpflege: Hans Döllgasts Wiederaufbau der Alten Pinakothek in München

Nicht minder ambivalent wie in der Bundesrepublik war auch das Vorgehen in der DDR. Aus politischen Gründen wurde dort 1950 das durchaus reparierbare Berliner Stadtschloss abgebrochen, 1967 folgte die Potsdamer Garnisonskirche. Die Bauakademie Karl Friedrich Schinkels, bei der man mit der Reparatur der Kriegsschäden bereits begonnen hatte, fiel dem Neubau des DDR- Außenministeriums zum Opfer. Dagegen wurde das unmittelbar angrenzende Kronprinzenpalais an der Straße Unter den Linden durch Richard Paulick (1903-1979) rekonstruiert.

Insgesamt gab es auch in der DDR unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem baulichen Erbe, wobei die großflächige Veränderung in den Stadtzentren überwog. Die Endphase der DDR seit den siebziger Jahren war jedoch durch den fortschreitenden Zerfall zahlreicher Baudenkmale durch mangelnden Bauunterhalt ganzer Altstädte gekennzeichnet.

IV. Aufbruch

Auch nach 1945 sind die Positionen der Denkmalpflege nicht losgelöst von der architektonischen Debatte der Zeit zu sehen. Die Forderungen nach der „autogerechten Stadt“ etwa führten dazu, dass weiterhin zahlreiche Denkmale zerstört wurden. Flächensanierungen führten bis in die frühen siebziger Jahre dazu, dass gewachsene historische Wohngebiete abgeräumt und durch Neubauten ersetzt wurden. In der Bundesrepublik formierte sich in den sechziger Jahren ein bürgerschaftlicher Protest gegen diesen Städtebau der Nachkriegszeit. Zugleich wuchs auch unter den Architekten selbst der Zweifel an einer uneingeschränkten Gültigkeit der Ziele der Moderne.

Mit der Wiederentdeckung der Tradition der „europäischen Stadt“ durch den italienischen Architekten Aldo Rossi (1931-1997) war der Rückkehr traditioneller Bauformen durch die Postmoderne ebenso das Tor geöffnet wie der Hinwendung zum gewachsenen Stadtgrundriss, der bei der Internationalen Bauausstellung in Berlin während der achtziger Jahre als „Gedächtnis der Stadt“ verstanden wurde.11 Doch diese Rückbesinnung auf Werte, gegen die sich die Moderne des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gewandt hatte, bedeutete noch keineswegs, dass historische Bausubstanz und Denkmale deshalb vor der Zerstörung durch Umbau und Abriss sicher gewesen wären.

Immerhin fand das bürgerschaftliche Engagement für die historischen Städte auch auf der politischen Ebene Widerhall. Es gipfelte in dem europäischen Denkmalschutzjahr 1975, das in der Bundesrepublik durch das 1973 gegründete Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz vorbereitet wurde.12 Dank des europäischen Denkmalschutzjahrs erhielt die Denkmalpflege im Westteil Deutschlands einen bemerkenswerten Schub. So wurden in den Bundesländern neue Denkmalschutzgesetze verabschiedet und die finanzielle und personelle Ausstattung der Denkmalämter verbessert. Doch auch der Denkmalbegriff veränderte sich in dieser Zeit. Neben den “klassischen“ Denkmalen wie Burgen, Schlösser und Kirchen traten nun zunehmend Bauten des 19. und 20. Jahrhunderts, der Moderne sowie der Industriekultur in den Blickwinkel der Denkmalpflege. Durch die Veröffentlichungen von Georg Mörsch oder August Gebessler wurde die differenzierte Auseinandersetzung mit dem gebauten Bestand und seinem historischen Zeugniswert hervorgehoben.13 Dadurch erfuhr die Position der Denkmalpflege in der Abwägung unterschiedlicher Interesse bei baulichen Eingriffen eine nachhaltige Stärkung. Durch Norbert Huses Publikationen wurde nicht nur die Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland tiefgreifend und differenziert beleuchtet.14 Er widmete sich auch jenen „unbequemen Denkmalen“ – etwa den Bauten des „Dritten Reichs“ -, die zuvor kaum eine denkmalgerechte Behandlung erfahren hatten.15 Der Denkmalbegriff insgesamt wurde deutlich ausgeweitet und umfasste nun nicht nur Einzeldenkmale oder Ensembles, sondern erstreckte sich auch auf den „städtebaulichen Denkmalschutz“ und auf ganze „Denkmallandschaften“.16 Hinzu kam, dass sich mit der Gartendenkmalpflege ein völlig neuer Zweig der Denkmalpflege erstmals intensiv der Erforschung der Geschichte sowie der Erhaltung von Gärten und Parks widmete.

Durch die Erfassung und Dokumentation der Denkmale in umfangreich illustrierten Denkmaltopgraphien sollte der geschützte Bestand nicht nur für Fachleute sondern darüber hinaus auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Schon in den achtziger Jahren merkte allerdings Norbert Huse an, dass in der praktischen Denkmalpflege „die Kluft zwischen dem eigentlich Möglichen und der landläufigen Praxis immer tiefer“ wurde. „Unwissenheit, Indolenz und die Sucht nach einem Zustand ‚wie am ersten Tage‘ gingen ein unseliges Bündnis miteinander ein.“17 Hinzu kam, dass es der Denkmalpflege in ihren Boom-Jahren nach 1975 nur in begrenztem Maße gelungen ist, die neuen Denkmalgruppen in ihrer Bedeutung und Qualität in weite Kreise der Öffentlichkeit hinein zu vermitteln. Das zunehmend verfeinerte und wissenschaftlich ausgebildete Instrumentarium der Denkmalpflege blieb auf einen vergleichsweise kleinen Kreis von Fachleuten beschränkt.

Denkmalpflege als öffentliches Anliegen. Die Rückseite des Katalogs zur Ausstellung „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz 1975

Denkmalpflege als öffentliches Anliegen. Die Rückseite des Katalogs zur Ausstellung „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“ des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz 1975

Ende der siebziger Jahre erschloss die Denkmalpflege eine ganz neue Denkmalgruppe: die Bauten der Moderne. Die umfangreich dokumentierte Erfassung und Restaurierung der Onkel Tom Siedlung von Bruno Taut (1880-1938) in Berlin-Zehlendorf bildete den Auftakt, der weitere Restaurierungen folgten – etwa in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart.18 Auch wenn diese Arbeiten die heutigen Ansprüche an einen denkmalgerechten Umgang mit Bauten nicht immer vollständig erfüllen, so kommt ihnen rückblickend dennoch eine wichtige Pionierrolle zu. Bis heute stellt die Restaurierung der Moderne, die längst die Bauten der fünfziger und sechziger Jahre erfasst hat, eine besondere Herausforderung dar. Gründe dafür sind die oft experimentelle Anwendung von Baumaterialien und die damit einhergehende filigrane Gestaltung der Gebäude, deren Denkmalsubstanz dadurch oft nur schwer zu erhalten ist.

Wiederentdeckte Moderne: Detail aus der Siedlung Onkel-Tom von Bruno Taut in Berlin Zehlendorf

Wiederentdeckte Moderne: Detail aus der Siedlung Onkel-Tom von Bruno Taut in Berlin Zehlendorf

V. Ausblick

Nach der deutschen Wiedervereinigung stand die Denkmalpflege vor allem in den östlichen Bundesländern vor einer kaum zu bewältigenden Herausforderung. Aus politischen und finanziellen Gründen war dort der Bauunterhalt zahlreicher Denkmale jahrzehntelang vernachlässigt worden. Das Ergebnis waren marode Dorfkirchen, einsturzgefährdete Herrenhäuser, leer stehende Mietskasernen und brach gefallene Industrie- und Militärareale. Verschärft wurde die Lage in den folgenden Jahren durch die wirtschaftlich bedingte Bevölkerungswanderung nach Westen aber auch durch eine Landflucht, die Baudenkmale in dörflichen Gebieten einem zusätzlichen Druck aussetzte. Wenngleich noch immer zahlreiche Denkmale auf ihre Rettung warten, von der ungewiss ist, ob sie je stattfinden wird, so sind seit 1990 dennoch bemerkenswerte Erfolge bei Revitalisierung und Restaurierung zu verzeichnen. Noch wenig öffentliche Akzeptanz hat dagegen eine weitere Denkmalgruppe gefunden, die so genannte Ost-Moderne.19 Dabei handelt es sich um jene Bauten, mit denen seit den sechziger Jahren die DDR den Anschluss an die internationale Architekturentwicklung suchte.

Doch auch die Lage im Westen der Bundesrepublik war in den neunziger Jahren nicht rosig: der fortschreitende Deindustrialisierungsprozess sowie der Strukturwandel, der mit der Umwandlung von einstigen Staatsunternehmen wie Post und Bahn zu privatwirtschaftlich agierenden Konzernen einherging, hinterließ zahlreiche Denkmale, deren Zukunft ungewiss war. Und eine Denkmalpflege, die angesichts sinkender personeller Ausstattung und finanzieller Ressourcen kaum in der Lage ist, aller anstehenden Schwierigkeiten Herr zu werden. Diese Entwicklung gipfelte in einer Streitschrift, die der Stadtsoziologe Dieter Hoffmann-Axthelm im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen veröffentlichte und in der er für eine „Entstaatlichung der Denkmalpflege“ und die radikale Beschränkung ihres Arbeitsgegenstandes eintrat.20

Gleichzeitig hat sich die Ausbildungspraxis für Denkmalpfleger an den Universitäten grundlegend verbessert. Mit neuen Masterstudiengängen sind hochwertige (Zusatz)-Qualifikationen für künftige Denkmalpfleger vorhanden, die eine praxisorientierte Einführung in das umfängliche Berufsbild geben, von der Bauforschung über die Dokumentation bis hin zur Schadensbehandlung und der medialen Aufarbeitung von Denkmalprojekten.21

Herausforderung Denkmallücken: Was tun mit dem Welterbe in Eisleben, in Zeiten der Schrumpfung?

Herausforderung Denkmallücken: Was tun mit dem Welterbe in Eisleben, in Zeiten der Schrumpfung?

Für die Öffentlichkeit vermittelt „die Denkmalpflege“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein uneinheitliches Bild. Einerseits lässt sie sich – wie im Fall Sachsens – vor den Karren der Rekonstruktion spannen. An Bauten wie dem Lutherhaus in Wittenberg wird dagegen das differenzierte denkmalpflegerische Instrumentarium angewandt, das auf eine Erhaltung der unterschiedlichen Zeitschichten eines Denkmals zielt. Gerade in den neuen Bundesländer gibt es darüber hinaus durch die von der Wüstenrot-Stiftung initiierten und begleiteten Restaurierungen des Einsteinturms von Erich Mendelsohn und des Hauses Schminke von Hans Scharoun herausragende Beispiele für behutsame Herrichtungen von Denkmalen der Moderne.

Gleichwohl ist die denkmalgerechte Behandlung der Bausubstanz, die den Träger der Denkmalbedeutung darstellt, bis heute nicht der Regelfall. Dabei ist das Interesse an Denkmalen in der Öffentlichkeit nach wie vor groß und beschränkt sich keineswegs mehr alleine auf die „traditionellen“ Denkmalgattungen, sondern umfasst längst auch Bauten der Moderne und Industrieanlagen. Das zeigt sich auch in dem hohen finanziellen Engagement, das zahlreiche private Denkmalstiftungen sowie die „Deutsche Stiftung Denkmalschutz“ bei der Erhaltung historischer Bauten zeigen. Dennoch ist gerade bei Investoren die denkmalgerechte Herrichtung eines Bauwerks noch immer die Ausnahme. Häufig sind stattdessen Umbau, Abriss oder gar die verfälschenden Kopien eines verlorenen Baudenkmals zu beobachten, wie jüngst bei der Rekonstruktion der Braunschweiger Schlossfassade für eine Shopping-Mall.

Hier liegt eine besondere Herausforderung für die Denkmalpflege. Sie muss in den Zeiten schrumpfender Bevölkerungszahlen und zur Neige gehender Ressourcen deutlich machen, dass die behutsame Erhaltung von Denkmalen als Dokumente der Vergangenheit zugleich eine wichtige Zukunftsstrategie zur nachhaltigen Bewahrung unserer Umwelt darstellt.22

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Anmerkungen

  1. 1. Mebes, Paul: Um 1800. Architektur und Handwerk im letzen Jahrhundert ihrer traditionellen Entwicklung. Reprint Berlin 2001
  2. 2. Choay, Francoise: Das architektonische Erbe, eine Allegorie. Geschichte und Theorie der Baudenkmale. Bauwelt Fundamente109. Braunschweig, Wiesbaden 1997, S. 94-121.
  3. 3. Ruskin, John: Die Sieben Leuchter der Baukunst. Ausgewählte Werke Band 1. Leipzig 1900, S. 335.
  4. 4. Riegel, Alois: Der moderne Denkmalkultus, zitiert nach: Huse, Norbert (Hg.): Denkmalpflege. Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten. München 1984, S.134 f.
  5. 5. Dehio, Georg: Denkmalschutz und Denkmalpflege im neunzehnten Jahrhundert. In: Georg Dehio, Kunsthistorische Aufsätze. München, Berlin 1914, S. 280.
  6. 6. Dvorak, Max: Katechismus der Denkmalpflege. Wien 1918.
  7. 7. Dehio, Georg: Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden? In: Georg Dehio, Kunsthistorische Aufsätze. München, Berlin 1914, S. 247-259.
  8. 8. Meyer, Peter: Moderne und Tradition. Zürich 1928.
  9. 9. Voigtländer , Klaus: Die Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg. Geschichte ihrer Restaurierung und Ausstattung. Berlin 1989;
    Tietz, Jürgen: Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Architektur, Geschichte, Kontext, Berlin 1999, S. 186-197.
  10. 10. Durth, Werner / Gutschow, Nils: Träume in Trümmern. Stadtplanung 1940-1950. München 1993.
  11. 11. Rossi, Aldo: Die Architektur der Stadt, Düsseldorf 1973.
  12. 12. Eine Zukunft für unsere Vergangenheit. Denkmalschutz und Denkmalpflege in der Bundesrepublik Deutschland. München 1975.
  13. 13. Mörsch, Georg: Grundsätzliche Leitvorstellungen, Methoden und Begriffe der Denkmalpflege . In: Schutz und Pflege von Baudenkmälern in der Bundesrepublik Deutschland – ein Handbuch. Hrsg. Von August Gebessler und Wolfgang Eberl, Stuttgart, 1980, 70-96.
  14. 14. Huse, Norbert (Hg.): Denkmalpflege. Deutsche Texte aus drei Jahrhunderten. München 1984.
  15. 15. Huse, Norbert: Unbequeme Denkmale. Entsorgen? Schützen? Pflegen? München 1997.
  16. 16. August Gebessler, Zur Geschichte der Denkmalpflege. Denkmalbegriff – Organisation – Aufgaben- Probleme. In: Eine Zukunft für unsere Vergangenheit, S. 157.
    Breuer, Tilmann: Denkmallandschaft. Ein Grenzbegriff und seine Grenzen. In: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 27, 1983, 75-82.
  17. 17. Huse: Denkmalpflege; S. 210.
  18. 18. Pitz, Helge/ Brenne, Winfried: Siedlung Onkel Tom Zehlendorf. Einfamilienreihenhäuser 1929. Architekt: Bruno Taut. Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin. Bezirk Zehlendorf. Beiheft 1. Berlin 1980.
  19. 19. Butter, Andreas/ Hartung, Ulrich: Ostmoderne. Architektur in Berlin 1945-1965.Berlin 2005.
  20. 20. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Dokumentation Entstaatlichung der Denkmalpflege? Von der Provokation zur Diskussion. Eine Debatte über die Zukunft der Denkmalpflege. Berlin 2000.
  21. 21. Hubel, Achim: Ausbildung und Lehre in der Denkmalpflege. Ein Handbuch. Petersberg 2002.
  22. 22. Wohlleben, Marion/ Meier, Hans-Rudolf (Hge.): Nachhaltigkeit und Denkmalpflege. Beiträge zu einer Kultur der Umsicht. Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH Zürich 24. Zürich 2003.

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