Bodendenkmalpflege und Archäologie

_ von Karl Bernhard Kruse

 

Die Sanierung eines unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes greift in der Regel auch in den Boden ein. Je nach Standort und Bauwerk werden unvermeidlich archäologische Quellen gestört. Um die Schäden und unwiederbringlich verloren gehenden Befunde so gering wie möglich zu halten, ist neben einer Inventarisation und Bauanalyse auch eine Bewertung der zu erwartenden Befunde im Untergrund im Vorfeld unerlässlich. Wenn sie fehlt, wird es im späteren Sanierungsprozess zu Verzögerungen kommen, falls durch Bodeneingriffe archäologisch relevante Quellen angegraben werden.

Je älter ein Gebäude ist und je länger mit einer kontinuierlichen Besiedlung an einem Ort gerechnet werden kann, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich Spuren menschlicher Besiedlung und Vorgängerbebauungsreste im Boden befinden. Sie sind in den meisten Denkmalschutzgesetzen per se unter Schutz gestellt, unabhängig davon, ob sie in eine Liste oder Karte eingetragen sind. Treten sie durch Bauarbeiten ans Tageslicht, ist die zuständige Denkmalschutzbehörde zu benachrichtigen. Ob die Befunde so wichtig sind, dass eine Ausgrabung oder Fundbergung angeordnet wird, können nur die Fachleute vor Ort entscheiden. Laut den meisten Denkmalschutzgesetzen steht dafür ein gewisser Zeitraum zur Verfügung, in dem die Baustelle unter Umständen vollständig stillgelegt werden kann, ohne dass es dafür für den Bauherrn eine Entschädigung gibt.

Abb 1: Duderstadt, Rathaus, Ergrabener Kaufhaus- und Laubengrundriss

Abb 1: Duderstadt, Rathaus, Ergrabener Kaufhaus- und Laubengrundriss

Gemäß einigen Denkmalschutzgesetzen greift für eine archäologische Untersuchung das Verursacherprinzip, d. h. der Bauherr muss bei bekannten Bodendenkmalen, wenn er überhaupt eine Baugenehmigung bekommt, im Vorfeld eine wissenschaftlich geleitete Ausgrabung oder Fundbergung auf seine Kosten durchführen lassen. Daher ist es von großer Bedeutung für einen späteren reibungslosen Bauablauf, sich vorher gründlich zu informieren und mit den Denkmalschutzbehörden notwendige Voruntersuchungen im Boden abzustimmen.

Neben den bekannten und in den Denkmallisten aufgeführten Bodendenkmalen ist in bestimmten Baugebieten wie zum Beispiel in historischen Ortskernen, Burgen und Kirchen in der Regel mit einer Vorgängerbebauung zu rechnen, die mehr oder weniger wichtig für die Orts-, Heimat-, Landesgeschichte ist. Daher sollte der Bauherr in diesen historisch relevanten Gebieten immer mit archäologischen Zeugnissen der Vergangenheit rechnen, die von den Fachleuten für so bedeutend eingestuft werden, dass eine wissenschaftliche Ausgrabung notwendig wird, die einen Zeitverzug im Bauablauf bedeuten kann. Durch Bodeneingriffe entdeckte Befunde zu ignorieren oder sogar zu beseitigen, stellt in jedem Fall eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat dar – sowohl für den Ausführenden als auch für den Bauherrn, der dies angeordnet hat.

Werden für den Bauarchäologen spannende und wichtige Befunde im Boden, wie z.B. Baugruben von Fundamenten älterer Gebäude oder Siedlungshorizonte vom Laien oft übersehen, springen Fundstücke aus Keramik, Metall oder auch Knochen dem sprichwörtlichen „Bauarbeiter oder Baggerfahrer“ sofort ins Auge und die Lust an einer „Schatzsuche“ kann geweckt werden. Unabhängig vom materiellen Wert, sind Fundgegenstände immer erst einmal interessant und für den Finder auch von Bedeutung. Für den Fachmann schwindet der Quellenwert eines Fundes jedoch stark, wenn die Stratigrafie der ursprünglichen Fundlage zerstört oder nicht dokumentiert wird. Keramikscherben mittelalterlicher Irdenware, wie sie für das tägliche Zubereiten der Mahlzeiten und die Nahrungsaufnahme bei Tisch benutzt worden sind, verstopfen die Magazine der archäologischen Landesmuseen, zumal, wenn sie als „Streu- oder Sammelfunde“ keinen Bezug mehr zum ursprünglichen Fundort haben. Zwar sieht ein zusammengeklebter Keramikkrug aus dem Mittelalter in einer Vitrine im restaurierten Haus schön und interessant aus und kann der ganze Stolz des Besitzers sein. Doch nur wenn die Fundumstände, die Erdschicht, in der er lag, dokumentiert und auch datiert wurde, kann er Aussagen zum Leben und Arbeiten in einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Umbauphase des Hause geben. Undokumentierte Ausgrabungen von Fundstücken unter Fußböden, das Leerräumen von Abfallgruben oder Kloaken, die bis in die Neuzeit zu jedem Gehöft auf dem Lande oder Wohnhaus in der Stadt gehörten, zerstören Geschichtsquellen unwiederbringlich.

Wenn daher auch nur zu vermuten ist, dass bei Sanierungsarbeiten an den Fundamenten, im Keller oder unter dem erdberührenden Fußböden, archäologische Befunde angetroffen werden können, sollten Erdeingriffe so weit wie möglich vermieden werden. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn feuchte Fundamente und Keller trockengelegt werden sollen und die Wärmedämmung auch gegen den Boden verbessert werden muss. Bevor dann eine langwierige und kostspielige Ausgrabung geplant wird, hilft eine kleine Suchgrabung mit einem Bodeneingriff an einer Stelle, die in jedem Fall geöffnet werden muss, Klarheit über die Situation im Boden zu erhalten. Wenn vor Ort kein archäologisches Fachpersonal zur Verfügung steht und vom zuständigen Fachamt auch keine Auflagen gemacht worden sind, bewährt es sich, an kritischen Stellen am Fundament sowohl innen als auch außen einen ca. einen Meter breiten Suchschnitt von der Oberkante des Geländes bis an die Unterkante des Gebäudes auszuschachten und dann mit einer Kelle die beiden senkrechten Grubenwände sauber abzusteifen. Dies nennt der Fachmann, das Profil zu putzen. Erst jetzt kann man die verschiedenen Erdschichten, eventuelle Auffüllungen oder Gruben anhand der unterschiedlichen Farbe, Zusammensetzung und Dichte des Materials unterscheiden. Für die Interpretation muss jedoch ein Fachmann herangezogen werden. Für eine erste unverbindliche Klärung hilft ein Foto, das der zuständigen Bodendenkmalpflege zugeschickt werden sollte. Zufällig ausgegrabene Fundstücke sollten natürlich gesammelt und ebenfalls gemeldet werden. So eine Bodenschürfung oder ein Suchabschnitt ist für die Beurteilung des Grundstückes und die Tragfähigkeit und Konsistenz des Erdreiches sowie der Beschaffenheit und Mächtigkeit des Fundamentes für den Architekten ebenfalls sehr wichtig. Daher können mit einem Bodeneingriff gleich mehrere Fragen geklärt werden, die für eine umfassende Gebäudesanierung notwendig sind. Selbst wenn für Sanierungsobjekte aus dem 19. und 20. Jahrhundert noch die originalen Bauakten vorhanden sind, und auch Fundamentzeichnungen angefertigt wurden, sagen sie noch nichts darüber aus, ob auch wirklich so gebaut worden ist. Für eine kostengünstige und erfolgreiche Gesamtsanierung ist die Kenntnis der Fundamente und des Bodens auf dem Grundstück unumgänglich.

Abb 2: Duderstadt, Rathaus, Nordprofil im Bereich des abgebrochenen Teils der Südmauer des Kaufhauses mit Fundamentresten des nicht ausgeführten Anbaus.

Abb 2: Duderstadt, Rathaus, Nordprofil im Bereich des abgebrochenen Teils der Südmauer des Kaufhauses mit Fundamentresten des nicht ausgeführten Anbaus.

Bringt eine Schürfgrube am Fundament auf jeden Fall Aussagen zum sanierenden Gebäude, die für den Architekten und Statiker von Bedeutung sind, stellen ergrabene Befunde zu einem Vorgängerbau oder ältere Besiedlungsspuren erst einmal eine zusätzliche Aufgabe und Belastung für den Bauherrn dar. Wenn sie durch die geplanten Baumaßnahmen nicht unmittelbar berührt werden müssen, ist es in der Regel besser, sie bleiben unberührt im Boden und werden nicht ausgegraben. Auf keinen Fall sollte der Bauherr interessierte Laien ohne das notwendige Fachwissen und Grabungserfahrung selbst arbeiten lassen. Wenn durch die Voruntersuchung feststeht, dass es sich um ein Bodendenkmal handelt, wäre dies ein unerlaubter Eingriff und nach dem Denkmalschutzgesetz mit einer Buße bedroht. Daher sollten dem planenden Architekten so früh wie möglich alle wichtigen Erkenntnisse aus allen bekannten schriftlichen Quellen zugänglich gemacht werden, die er dann mit den Ergebnissen der Suchgrabung für dieses konkrete Gebäude in Verbindung bringen kann. Auch hier ist die Hilfe der örtlichen Denkmalpflege, der Heimatpfleger oder wissenschaftlichen Institute der Universitäten notwendig. Bevor jedoch eine umfangreichere wissenschaftliche Grabung geplant wird, ist zu überlegen, ob der Bauherr und Architekt nicht auf Bodeneingriffe, neue Fundamente und Keller an dieser Stelle verzichten kann, um so die Befunde der Nachwelt im Boden zu erhalten und Kosten und Zeitverzögerungen zu ersparen.

Abb 3: Duderstadt, Rathaus, Profil 5, Nordprofil an der östlichen Säule des Kaufhauses mit Basis und Fundament, Baugruben und Fußbodenpflasterungen. Links neben der Säule Suchgrabung durch Paul Lehmgrübner 1905, unmittelbar unter dem letzten Fußboden ansetzend. Neben dem Fundament Pflasterung aus der Erbauungszeit um 1303, neben dem Sockelprofil Fußbodenpflasterung aus dem Jahr 1533.

Abb 3: Duderstadt, Rathaus, Profil 5, Nordprofil an der östlichen Säule des Kaufhauses mit Basis und Fundament, Baugruben und Fußbodenpflasterungen. Links neben der Säule Suchgrabung durch Paul Lehmgrübner 1905, unmittelbar unter dem letzten Fußboden ansetzend. Neben dem Fundament Pflasterung aus der Erbauungszeit um 1303, neben dem Sockelprofil Fußbodenpflasterung aus dem Jahr 1533.

Eingriffe in historischen Boden sind jedoch auch bei der besten Planung in vielen Fällen notwendig. Daher wird von der Bodendenkmalpflege entweder eine Grabung selbst durchgeführt oder dem Bauherrn die Auflage gemacht, eine Grabung auf seine Kosten mit wissenschaftlichem Fachpersonal durchführen zu lassen. Bevor der sprichwörtliche „Spaten“ angesetzt wird, ist eine gründliche Planung mit einer Fragestellung, von allen Beteiligten zu erarbeiten. Eine vollständige Ausgrabung und wissenschaftliche Dokumentation aller Befunde sowie Bergung aller Funde, ist in der Regel nicht möglich. Auch sieht man nur, was man kennt, erwartet oder völlig unerwartet aus dem Rahmen fällt. Einmal abgegrabene Erdschichen sind zerstört und nur noch im Profil zuerkennen. In der Regel wird heute in der Mittelalterarchäologie, die auch Grabungen bis ins 20. Jahrhundert übernimmt, in natürlichen Schichten gegraben. D. h. die jeweils jüngste Schicht wird komplett herausgenommen, so dass sich die natürlichen Schichtgrenzen mit allen Unregelmäßigkeiten als Negativabdruck abzeichnen. Schon aus der Form des Befundes kann der Fachmann erkennen, ob es sich z. B. um eine Abfallgrube, einen verfüllten Fundamentgraben oder ein Pfostenloch handelt. Weiterhin werden alle Fundstücke einer Schicht oder eines Befundes zusammen geborgen und können später unter der gleichen Fundnummer bearbeitet werden.

Mit Hilfe der Funde eines zeitgleichen Befundes kann unter Umständen der Zeitpunkt, wann diese Schicht in den Boden gekommen ist, nicht nur relativ chronologisch, sondern auch absolut datiert werden. Relativ chronologisch bedeutet, dass die Schicht A, die unter der Schicht B lag, älter sein muss, da sie von B abgedeckt wird, die auf ihr liegt. Aufgabe des Grabungstechnikers und des Archäologen ist es daher bei der Grabung vor Ort, immer sofort die relative Chronologie eindeutig zu bestimmen und festzuhalten. Wie lange jedoch eine Schicht aufgebaut worden ist und zu welcher Zeit, kann mit Hilfe der Funde in ihr mehr oder weniger genau bestimmt werden. Wenn in der Schicht A z. B. Keramikbruchstücke des 16. und 17. Jahrhunderts vorhanden sind, kann diese Schicht nicht im 15. Jahrhundert entstanden sein. Für die absolute Datierung sind immer die jüngsten Funde Ausschlag gebend. Eine Datierung mit Hilfe von Funden gibt stets einen Zeitpunkt an, der nach dem Zeitpunkt liegt, in dem dieses Stück entstanden ist. Wenn z. B. in der Schicht A neben der bunt glasierten Irdenware, auf der glücklicher Weise eine Jahreszahl aufgebracht ist, auch noch eine Münze mit Prägedatum gefunden wird, bedeutet dies, dass die Keramik und die Münze in den entsprechenden Jahren glasiert bzw. geprägt worden ist, jedoch nicht, wann sie in den Boden gekommen sind. Dies kann frühestens in den bekannten Jahren, jedoch auch eine unbekannte Zeitspanne später geschehen sein. Eine gewisse zeitliche Nähe ist in der Regel anzunehmen, wenn nicht gerade unterstellt wird, dass ein Antiquitätensammler in diesem Haus gewohnt hat, der keinerlei zeitgenössische Gegenstände benutzte.

Mit Bruchstücken von Dachziegeln kann man viel schwerer eine genaue Datierung vornehmen. Natürlich ist es schon möglich, dass beim Dachdecken ein neuer Ziegel zu Bruch ging, und z. B. in die noch offene Fundamentgrube gefallen ist. Dies wäre sogar ein Glücksfall für die spätere wissenschaftliche Auswertung. Meist kommen Dachziegelbruchstücke jedoch erst dann in den Boden, wenn sie mehr oder weniger lange auf dem Dach gelegen haben und bei einem Umbau oder bei einer Neueindeckung heruntergeworfen worden sind. Dieser Zeitpunkt lässt sich nur schwer abschätzen und kann ohne weiteres über 100 Jahre nach der Herstellung der Dachziegel liegen. Eine relativ genaue Datierung, wann die jüngsten Funde mit welcher zeitlichen Streuung eine Schicht bestimmen, lässt sich nur aus der Zusammenschau aller Funde und der Kenntnis der durchschnittlichen Lebenserwartung und Laufzeit abschätzen.

Eine von Fachleuten durchgeführte Grabung wird jedoch nicht nur auf die Befunde und Funde achten, sondern versuchen, Material für eine naturwissenschaftliche Altersbestimmung zu bekommen. Holz, das sich im feuchten Boden unter Luftabschluss erhalten hat, kann sehr gut für eine dendrochronologische Altersbestimmung herangezogen werden. Während des Wachstums eines Baumes bilden sich je nach Witterungsbedingungen unterschiedlich breite Jahrringe aus, die für die Bäume einer Landschaft charaktaristisch sind. Wenn die Rinde oder Waldkante auf dem geborgenen Holzstück noch vorhanden ist, kann wie im Bauholz des Dachwerkes das Jahr bestimmt werden, in dem der Baum gefällt worden ist. Wenn das Holz nicht nur zufällig als Abfall im Boden liegt, sondern als Fundamentverstärkung oder für Baugrundverfestigung genommen worden ist, liegt es nahe, dass es zeitnah nach der Fällung verbaut worden ist. Zumal wenn sich die Daten von mehreren Hölzern zu einem einheitlichen Fälldatum ergänzen, ist zu vermuten, dass diese Hölzer für diese Bauaufgabe gefällt wurden und zur gleichen Zeit in den Boden gekommen sind.

Mit allen organischen Materialien könnte mit der 14C Methode auch ein naturwissenschaftlich bestimmtes Alter ermittelt werden. Da diese Methode jedoch nicht so preiswert wie eine dendrochronologische Altersbestimmung ist und auch nur eine Datum mit einem relativ großen Spielraum von ca. +/- 50 Jahren ergibt, ist die 14C- Methode bei jüngeren Funden nicht sehr hilfreich und genau. Alle Materialien, in denen Quarz (-sand) über 650° C erhitzt wurde, können mit Hilfe des Thermoluminzensverfahren ebenfalls mit einer Streuung von +- 2 bis 5% unter optimalen Bedingungen naturwissenschaftlich datiert werden. Für jüngere Befunde und Funde, z. B. Backsteine, ist dies teuer und zeitlich zu ungenau. Backsteine aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert lassen sich meist aufgrund ihrer Maße, der Herstellungstechnik und eventuell der Stempel wesentlich genauer einordnen.

Eine wissenschaftliche Grabung wird umso erfolgreicher für den Bauherrn und die Geschichtsschreibung sein, je genauer die wissenschaftliche Fragestellung war, mit der die Grabung durchgeführt worden ist. Genauso wichtig ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Denkmalpfleger, dem Geschichtswissenschaftler und den Naturwissenschaftlern, die Einzeluntersuchungen durchführen. Für den Bauherrn, der eventuell die Grabung auch bezahlt hat, sollte der bauleitende Architekt alle Fachleute immer wieder zum fachlichen Austausch zusammenbringen und Teilergebnisse dazu nutzen, die Fragestellung zu erweitern, einzugrenzen oder eine neue Richtung zu geben. Erkenntnisse der archäologischen Untersuchung helfen nicht nur, die Baugeschichte des Hauses und die Lebenssituation der früheren Bewohner zu erhellen, sondern auch ein Sanierungskonzept zu optimieren, das die Geschichte berücksichtigt und gleichzeitig die Baukosten und den Bauablauf im Auge behält.

Als Beispiel für eine abgestimmte archäologische und denkmalpflegerische Bauforschung als Vorbereitung einer umfangreichen Rathaussanierung am Ende der 1980er Jahre möchte ich auf die vorbildlich dokumentierte Gesamtrenovierung des Rathauses in Duderstadt hinweisen. Die Duderstädter Bürger waren sehr stolz auf ihr Rathaus, weil es nach einer Bauuntersuchung aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts als das älteste noch in Benutzung stehende Rathaus angesehen wurde. Sein Kernbau, eine große Kaufhalle mit Saal im Obergeschoss, sollte bis in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zurückreichen. Aus der baubegleitenden Suche nach dem ersten Fußboden in der Kaufhalle ergab sich jedoch recht schnell, dass die bisherigen Angaben zum Alter und Aussehen nicht stimmen. Ein von mir angelegter kleiner Suchschnitt am Fundament einer vermeintlich ursprünglichen Säule verlief zufällig mitten in dem Suchschnitt, den vor gut 70 Jahren Paul Lehmgrüber angelegt hatte, um das Sockelprofil der Säule und die Fundamentoberkante anzugraben und für seine Dokumentation zu zeichnen. In dem vom unmittelbar unter dem letzten Fußboden abgetieften und wieder verfüllten Suchschnitt fanden sich Fundgegenstände, die in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörten und alle älteren Horizonte und Fußbodenpflasterungen durchschnitten.
Ein zweiter Suchschnitt an einer vermeintlich ebenfalls zum Ursprungsbau gehörenden Säule, die aber völlig anders gebauten viel dicker war, erbrachte dagegen den eindeutigen stratigrafischen Hinweis, dass die Baugrube für diese Säule von einem höheren Fußbodenniveau aus dem 16. Jahrhunderts abgetieft worden war. Zudem saß unmittelbar neben ihr noch die Basis einer abgebrochenen Säule im Boden, die das gleiche Profil hatte, wie der zuerst ausgegrabenen Säulefuß. Damit war die bisher angenommene Symmetrie der Kaufhalle als Gründungsbau nicht mehr vorhanden. Ein dritter ursprünglicher Säulenfuß war in einem jüngeren Einbau vermauert. Zeichnete man diese drei Säulen mit den Abständen zu den Außenmauern ein, fiel auf, dass der Abstand nach Osten zwischen Säule und Außenwand kleiner war, als die anderen Abstände untereinander. Auch die in der Nordmauer noch vorhandenen beiden ursprünglichen Eingangportale und die ebenfalls noch vorhandenen schmalen Doppelfenster nahmen auf die Säulen Rücksicht – nicht jedoch auf die Ostmauer. Es drängte sich der Verdacht auf, dass diese Wand jünger sei und die ursprüngliche Außenmauer weiter außen auf dem heutigen Markt gelegen hatte. Dies konnte nur durch eine kleine Grabung geklärt werden. Da auch auf dem Markt unmittelbar vor der Ostmauer Bodeneingriffe für Leitungen notwendig waren, konnte hier eine Untersuchung mit der entsprechenden Fragestellung durchgeführt werden.

Abb 4: Duderstadt, Rathaus, Profil 2, Westprofil in der Laube mit ergrabenen Fundamenten und Markplatzoberflächen (immer wieder erneuerte Befestigung mit aufgetragenen kleinen Steinchen) vor dem Kaufhausbau sowie dem Fundament der Laube von 1532 auf einer Holzrostgründung. Die Baugrube für den Kaufhausbau 1303 ist grau hinterlegt, die Baugrube für die Laube hellbraun

Abb 4: Duderstadt, Rathaus, Profil 2, Westprofil in der Laube mit ergrabenen Fundamenten und Markplatzoberflächen (immer wieder erneuerte Befestigung mit aufgetragenen kleinen Steinchen) vor dem Kaufhausbau sowie dem Fundament der Laube von 1532 auf einer Holzrostgründung. Die Baugrube für den Kaufhausbau 1303 ist grau hinterlegt, die Baugrube für die Laube hellbraun.

Die theoretische Überlegung, dass das Fundament der ursprünglichen Ostmauer auf dem heutigen Markt gelegen haben musste, stellte sich als richtig heraus. Es konnte auch festgestellt werden, dass die heutige Ostmauer in das 16. Jahrhundert gehört und damit wohl zeitgleich war, wie die große jüngere Mittelsäule. Erstaunlicherweise konnte nicht nur das fehlende Fundament gefunden werden, sondern auch noch ein schmaleres, noch weiter nach Osten gehendes Fundament, dass wahrscheinlich kein aufgehendes Mauerwerk getragen hatte. Aus den Bild- und Schriftquellen war von einem Anbau im Osten nichts bekannt. Rein mit archäologischen Mitteln wäre man hier nicht recht weitergekommen. Erst die Verknüpfung mit den vorhandenen Schriftquellen, besonders mit den Kontrakten der Mauer- und Zimmermeister, die die Vorlaube im Norden zwischen 1531-1533 bauen sollten, brachte Licht in diese Befunde. Nachdem nämlich Steinmetz Hencze aus Northeim ab März 1531 die neue Laube im Norden errichtet hatte, zeigten sich im Herbst Bauschäden, als der Fachwerkaufbau die Mauern belastete. In der Eile waren die Fundamente nicht ausreichend tief gebaut worden, das Fachwerkobergeschoss musste abgefangen werden und der Steinmetz Hencze im November 1531 die Bauarbeiten einstellen und Urfehde schören. Im März 1532 bekam Valentin Colst aus Nordhausen einen neuen Vertrag. Er brach den steinernen Unterbau der Laube wieder ab, gründete das Fundament neu und viel tiefer während das schon fertige Fachwerkobergeschoss abgefangen über der Baustelle schwebte.

Der Einbau einer Brandweinstube in diese neue Laube ließ sich archäologisch wiederum nachweisen. Durch die Ritzen zwischen den hölzernen Fußbodendielen ist Kleingeld gefallen und im lockeren Sand der Baugrubenverfüllung gut vier Jahrhunderte liegen geblieben. Weil wir nach den ersten zufälligen Funden den gesamten lockeren Aushub durchgesiebt haben, konnte ein kleiner Münzfund von 30 Pfennigen und Groschen geborgen worden, die für die Numismatiker von großer Bedeutung sind, obwohl ihr materieller Wert gering war und ist. Die weite Streuung der Münzstätten zeigt, dass im späten Mittelalter mit Münzgeld aus sehr vielen Münzstätten gehandelt und bezahlt worden ist. Ohne sorgfältige Grabung wären diese Münzen unbeobachtet auf den Bauschutt geworfen worden.

In bekannten historischen Gebäuden bringt die Bauarchäologie neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen, nach denen sie im Idealfall suchen darf, auch immer wichtige Erkenntnisse zum realen Bau, die für eine erfolgreiche Sanierung benötigt werden. Nur wenn z. B. der Aufbau der Fundamente, die Tragfähigkeit des Bodens und der Grundwasserstand bekannt sind, kann auf Setzungen, Risse und Durchfeuchtungen des Gebäudes optimal reagiert werden und damit eine dauerhafte Sanierung durchgeführt werden. Dies gilt nicht nur in historischen Innenstädten, sondern auch für ländliche Gebäude von denen zu vermuten ist, dass sie nicht als erstes auf dieses unbebaute Grundstück gestellt worden sind. Wenn z. B. noch alle Planunterlagen und ältere Fotografien von Gebäuden der klassischen Moderne wie beim Doppelhaus von Le Corbusier in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart vorhanden sind, konnten doch bestimmte Fragen zur Wegeführung im Garten oder am Hauseingang nur durch eine kleine archäologische Grabung geklärt werden. Die Abbildungen der kleinen Grabung zeigen, dass sich die Bodeneingriffe aus den 1920er Jahren freilegen ließen, da die jüngeren Schichten auf sie geschichtet waren und nichts weggegraben wurde. Sowohl der Aufbau der Erdgeschossterrasse als auch die ursprüngliche Hangsitutation konnten nachgewiesen werden. Erst die Verknüpfung der Grabungsauswertung mit der Bauuntersuchung, der restauratorischen Stratigrafie und der Archivrecherchen ergaben den eindeutigen Befund, der für eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes die Voraussetzung war. Der Unterbau des Rosenweges belegt, dass der Plan auch ausgeführt worden ist und der Weg mit der Rosenlaube längere Zeit bestanden hat. Hier wurde der Spezialist aus dem Landesamt für Bodendenkmalpflege mit einer konkreten Fragestellung eingesetzt und in die Diskussion um den „richtigen“, in diesem Fall den ursprünglichen Bauzusammenhang zu Rate gezogen. Eine wissenschaftlich so gut vorbereitete und begleitete Sanierung wie an diesem Doppelhaus der klassischen Moderne, das heute als Museum und Anschauungsobjekt für die Öffentlichkeit bestimmt ist, ist nicht nur zeitaufwendig und kostspielig, es setzt auch Maßstäbe für zukünftige Bearbeitung an nicht so berühmten Gebäuden.

Abb 5: Stuttgart, Weißenhofsiedlung, Der Garten des Doppelhauses Le Corbusier/ Pierre Jeanneret im Jahr 2005 (Foto Thomas Wolf, Gotha)

Abb 5: Stuttgart, Weißenhofsiedlung, Der Garten des Doppelhauses Le Corbusier/ Pierre Jeanneret im Jahr 2005 (Foto Thomas Wolf, Gotha)

Eine bauarchäologische Voruntersuchung in einem zu sanierenden Baudenkmal sollte wie alle anderen Methoden zur Grundlagenerforschung und Erfassung des Ist-Zustandes gesehen werden. Je nach Objekt, Alter und Stellung im zeitgenössischen Bauen kann sie mehr oder weniger zeit- und kostenintensiv durchgeführt werden. Sie sollte jedoch immer mit einer klaren Fragestellung und im Kontext mit den übrigen Untersuchungen und Quellen begonnen werden. Mit der vermeintlichen „Schatzsuche“, mit der Archäologie immer noch in Zusammenhang gebracht wird, hat dies nichts zu tun. Trotzdem treten immer wieder unverhoffte Funde zutage, die sich als wahre Schätze für das Bauwerk und den Bauherrn herausstellen. Ganz selten wird auch ein materieller Schatz entdeckt wie z. B. der große Münzfund von Lübeck. Wichtiger als der materielle Gewinn und die späteren Ausstellungsstücke für die Vitrine in der Eingangshalle, ist der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn für die Geschichte des Hauses, des Ortes und des Landes sowie das Leben der Bewohner. Die gleichsam nebenbei anfallenden Erkenntnisse zur Beschaffenheit des Untergrundes und Tragfähigkeit der Fundamente sichern den weiteren Bestand und schonen den Geldbeutel des Bauherrn. Denn Fehler, die gemacht werden, weil man diese Erkenntnisse nicht hatte, rächen sich während der Bauzeit durch teure Nachuntersuchungen und –Ausbesserungen, Zeitverzug und aufwendige Hilfskonstruktionen. Auch wenn der Archäologe und Bodendenkmalpfleger auf den ersten Blick zu stören und überflüssig zu sein scheint, hilfen eine gegenseitige offene Kommunikation und ein vertrauensvolles Miteinander dem Gebäude und dem Bauherrn.

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Weiterführende Literatur:

Denkmalschutzgesetze

Hans Herbert Möller (Hrsg.) Das Rathaus in Duderstadt, Hameln, 1989

Paul Lehmgrübner, Mittelalterliche Rathausbauten in Deutschland, Erster Teil: Fachwerksrathäuser, Berlin 1905, S. 22-28.

Günter P. Fehring, Einführung in die Archäologie des Mittelalters, Darmstadt 1987

Günter P. Fehring (Hrsg), 25 Jahre Archäologie in Lübeck, Bonn 1988

Der Dom zu Regensburg, Ausgrabung, Restaurierung, Forschung. Kunstsammlungen des Bistums Regensburg, Diözesanmuseum Regensburg, Kataloge und Schriften Band 8, München 1990

Georg Adlbert (Hrsg.), Le Corbusier/ Pierre Jeanneret. Doppelhaus in der Weißenhofsiedlung Stuttgart, Die Geschichte einer Instandsetzung. Zürich 2006

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