Bauklimatische Aspekte

_ von Dr.-Ing. Klaus Graupner

 

I. Einführung – Zielstellung

Warum bauklimatische und nicht bauphysikalische Aspekte ?
Unter Bauklimatik ist die auf den Raum bzw. das Bauwerk bezogene ganzheitliche Betrachtung bauphysikalischer Zusammenhänge zu verstehen (hier: Temperaturverhalten, Wärme- und Feuchteschutz). Ausgehend vom Außenklima des Gebäudestandortes und der Kenntnis des thermisch-hygrischen Verhaltens des Bauwerkes und seiner Konstruktionen ist ganzjährig ein der Nutzung entsprechendes Raumklima zu schaffen, ohne dass es dabei zu klimabedingten Mängeln und Schäden am Bauwerk und seiner Ausstattung kommt. Um dieses „klimatische Funktionieren“ des Gebäudes unter konkreten Nutzungsbedingungen zu sichern ist ein entsprechendes Zusammenspiel der Komponenten Wärme-/Feuchteschutz, Heizung, Lüftung und Nutzung notwendig.

Aus der Nutzung ergeben sich einerseits Anforderungen an das Raumklima, andererseits kann eine mit der Nutzung verbundene Wärme- und Feuchteabgabe (z.B. durch Personen) das Raumklima selbst erheblich beeinflussen. Diese beiden Seiten der Nutzung können somit auch entsprechende bauliche und/oder gebäudetechnische Maßnahmen notwendig machen. Selbstverständlich gehört zur bauklimatischen Betrachtung auch die Problematik des jährlichen Energieverbrauches bzw. der Energiekosten.

Es ist also praktisch die Erarbeitung einer bauklimatischen Konzeption erforderlich. Diese Konzeption beinhaltet nicht nur bauliche Vorgaben, sondern auch heizungs- und lufttechnische Vorgaben zur Aufgabenstellung für die entsprechenden Fachplaner. Damit geht das Fachgebiet Bauklimatik – insbesondere bei historischen Gebäuden – weit über die baupysikalische Untersuchung von Einzelproblemen und die Erarbeitung von Nachweisen (z.B. nach DIN 4108 / Wärmeschutz und Energie-Einsparung in Gebäuden; Energieeinsparverordnung) hinaus. Die Ingenieur-Wissenschaft Bauklimatik wurde vor ca. 35 Jahren durch Karl Petzold (Technische Universität Dresden) begründet.

II. Allgemeine Ausgangssituation bei historischen Gebäuden

Anmerkungen:

  • Im weiteren Text wird der Begriff „historische Gebäude“ benutzt. Dafür könnte auch stehen „Bauen im Bestand“ oder „Altbauten“.
  • Aus der hier vertretenen bauklimatischer Sicht und der damit verbundenen Problemdarstellung ist eine Differenzierung zwischen Baudenkmal und Nicht-Baudenkmal nicht erforderlich.

Analog zum Neubau dürfen auch nach der Instandsetzung, Rekonstruktion, Umnutzung, Modernisierung usw. eines historischen Gebäudes und der sich anschließenden, von heutigen Forderungen und Ansprüchen ausgehenden Nutzung keine klimabedingten Mängel und Schäden am Bauwerk und seiner Ausstattung entstehen.

Leider gibt es jedoch in bauklimatischer Hinsicht einen gravierenden Unterschied zwischen Alt- und Neubau: Während bei einem Neubau die sich aus Vorschriften oder aus speziellen Nutzungsanforderungen ergebende Anforderungen an den baulichen Wärme-/Feuchteschutz einschließlich der Vermeidung von Wärmebrücken im Rahmen der Planung realisieren lassen und dabei gewöhnlich verschiedene Lösungsvarianten (konstruktiv und materialmäßig) möglich sind, ist bei einem historischen Gebäude die Komponente Wärme-/Feuchteschutz vorgegeben. Darüber wurde schon zu historischen Zeiten (zumeist unbewusst) entschieden. Der Wärmeschutz ist also zu Beginn der Baumaßnahme bereits vorhanden. Das kann innerhalb eines Gebäudes sehr differenziert sein. Vor allem aber sind die Einzelheiten nicht bekannt. Es ergibt sich folgende Ausgangssituation für historische Gebäude: Der vorhandene bauliche Wärmeschutz entspricht nicht den heutigen Anforderungen an den baulichen Mindestwärmeschutz (Ziel: Tauwasserfreiheit raumseitiger Oberflächen außer Fenster zur Vermeidung von klimabedingten Feuchteschäden sowie Schimmelpilzfreiheit). Eine „Nachbesserung“ des baulichen Wärmeschutzes der Wände und der Fenster ist vor allem aus denkmalpflegerischen und / oder baulich-konstruktiven Gründen nicht oder nur bedingt möglich. Die künftige Nutzung ergibt im Allgemeinen eine thermisch-hygrische Belastung der historischen Bausubstanz, für die sie nicht vorgesehen war. Durch den aus heutiger Sicht schlechten Wärmeschutz der Außenbauteile ergeben sich in der kalten Jahreszeit raumseitige Oberflächentemperaturen, die (z.B. bei Wohnungsnutzung) mit den heutigen Behaglichkeitsansprüchen nicht vereinbar sind.

So vielfältig historische Bauwerke vom Baustil / Baujahr her auch sein können, bei den Außenwandkonstruktionen gibt es hingegen nur eine relativ geringe Anzahl von Varianten. Die folgende Tabelle enthält typische Außenwandkonstruktionen und zur Orientierung deren Wärmedurchgangskoeffizienten U (ehemals k) in W/(m²K). Der U-Wert ist proportional dem Transmissionswärmeverlust durch ein Bauteil, Berechnung z.B. nach [1]. Je größer der U-Wert, desto größer sind die Wärmeverluste und umso niedriger (also ungünstiger) ist die raumseitige Oberflächentemperatur. Auf Grund seiner Anschaulichkeit wird der U-Wert im Allgemeinen zur Kennzeichnung oder Bewertung eines erforderlichen oder vorhandenen Wärmeschutzes benutzt. Voraussetzung ist dabei, dass sich das Bauteil im thermisch stationären Zustand befindet, also der Vorgang der Aufheizung bzw. Durchwärmung des betreffenden Bauteiles abgeschlossen ist. Andernfalls ergeben sich noch niedrigere raumseitige Oberflächentemperaturen. Bei dicken Außenwänden aus massivem Mauerwerk kann das Aufheizen (analog das Auskühlen) Tage oder Wochen dauern.

„Klassische“ Außenwände

U-Wert in W/(m²/K)
0,60 m Bruchsteinmauerwerk 1,5 … 2,7
0,15 m Lehmwand (Fachwerk) 2,5 … 3,3
0,25 m Vollziegel-Mauerwerk 2,1
0,40 m Vollziegel-Mauerwerk 1,5

 

Bei Bauten der Klassischen Moderne sind bei den Außenwänden folgende Materialien zur Anwendung gekommen: Schlackesteine, Ziegelmauerwerk, Beton, eingeschlossene Luftschicht, Hohlblocksteine, Putz, Stahlträger („Fachwerk“). So gibt es beispielsweise beim Meisterhaus Muche/Schlemmer in Dessau 6 unterschiedliche Außenwandkonstruktionen, die U-Werte dieser Wände liegen im Bereich von 1,4…2,7 W/(m²K). Insgesamt ordnen sich die Außenwandkonstruktionen der Klassischen Moderne weitestgehend in den aus der vorstehenden Tabelle ersichtlichen Wertebereich für U ein.

Berücksichtigt man die Variationsbreite der Außenwanddicke und den Streubereich der Materialeigenschaften (besonders Wärmeleitfähigkeit), so beträgt bei historischen Außenwänden der Bereich für U = 1,2 … 3,5 W/(m²/), diese Aussage gilt für den sogenannten ungestörten Wandbereich, dh. Außerhalb von Wärmebrücken.

Die zur Zeit gültige DIN 4108-2 (Ausgabe Juli 2003) fordert als Mindestwärmeschutz für die Außenwände von Neubauten bei Wohnungen, Büros usw. U 0,73 W/(m²K). Dieser DIN-Wert gilt zwar für Neubauten, es erscheint aber sinnvoll, ihn zur Beurteilung des Wärmeschutzes von historischen Gebäuden heranzuziehen – er verdeutlicht das Wärmeschutzproblem historischer Gebäude. Aus dieser DIN resultiert keine Nachbesserungspflicht für historische Gebäude.

III. Bauklimatische Grundforderung für historische Gebäude

Aus der vorstehenden Darstellung könnte die Schlussfolgerung lauten: Alle bauklimatischen Probleme historischer Gebäude lösen sich durch die Verbesserung des Wärmeschutzes – doch das ist F A L S C H ! Denn Wärmeschutz allein (auch nicht bei 30 cm Dicke) kann im Allgemeinen klimabedingte Bauschäden z.B. durch kondensierende Raumluftfeuchte oder Schimmelpilzbildung nicht verhindern. Denn die raumseitige Oberflächentemperatur ist (neben der Außenlufttemperatur) abhängig vom Wärmeschutz sowie der Heizung, Lüftung und Nutzung. Damit es auch bei „richtiger“ Oberflächentemperatur nicht zu Mängeln oder Schäden durch ein zu hohes Feuchteniveau der Raumluft kommt, darf dieses Feuchteniveau einen bestimmten Maximalwert nicht überschreiten. Dieser Grenzwert ergibt sich zumeist aus der Schimmelpilzgefahr, denn es existieren Schimmelpilzsporen, die bereits bei einer relativen Luftfeuchte unmittelbar an der Oberfläche von etwa 80 % anfangen zu keimen, also gar keine kondenswassernasse Oberfläche benötigen. Dieses an der raumseitigen Oberfläche maximal zulässige Feuchteniveau der Raumluft (gekennzeichnet durch die Taupunkttemperatur oder die absolute Feuchte der Raumluft) ist abhängig von der Nutzung und der Lüftung. Daher heißt es in der DIN 4108-2 im Zusammenhang mit Anforderungen an den Mindestwärmeschutz: „Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Räume entsprechend ihrer Nutzung ausreichend beheizt und belüftet werden.“

Als Schlussfolgerung ergibt sich: Damit eventuell verbleibende Defizite im Wärmeschutz eines historischen Gebäudes nicht zu klimabedingten Mängeln und Schäden durch Raumluftfeuchte bzw. durch deren Kondensation am Bauwerk und seiner Ausstattung führen, müssen z w i n g e n d Nutzung, Heizung und Lüftung auf den vorhandenen bzw. realisierten Wärmeschutz des Bauwerkes abgestimmt werden. Unter Umständen sind also s p e z i e l l e heizungs- und lüftungstechnische Maßnahmen nicht zu umgehen! Dieser Zusammenhang kann als bauklimatische Grundforderung für historische Gebäude verstanden werden.

Anmerkungen:

  • „spezielle heizungs- und lüftungstechnische Maßnahmen“ heißt, es sind auf den konkreten Anwendungsfall (Einzelfall) zugeschnittene technische Lösungen erforderlich. Es gibt keine Universallösungen.
  • „Lüftung“ umfasst die freie Lüftung (durch Fenster, Fensterfugen, Schachtlüftung durch thermischen Auftrieb und Windeinfluss, Zuführung von Verbrennungsluft usw.) und die maschinelle Lüftung bzw. Zwangslüftung (im Sinne der vorstehenden Grundforderung gehört hierzu auch die Luftentfeuchtungstechnik). Eine zusätzliche Feuchtebelastung raumseitiger Oberflächen kann sich durch aufsteigende Feuchte und Baufeuchte ergeben.

IV. Besonderheiten bei Bauten der Klassischen Moderne

Außer den bereits erläuterten charakteristischen Merkmalen der „Allgemeinen Ausgangssituation“ zeigen die Bauten der Klassischen Moderne gewöhnlich Entwurfs- und Konstruktionsdetails, die bei heutigen Gebäuden zwar selbstverständlich sind, aber auch da gleichermaßen unter winterlichen und unter sommerlichen Bedingungen erstaunlich immer wieder zu bauklimatischen Problemen führen können. „Erstaunlich“ deshalb, weil heute umfangreiche bauphysikalische bzw. bauklimatische Grundlagen, Zusammenhänge und Erfahrungen zur Verfügung stehen, wenn aber der Architekt . . .

Solche Details sind u.a.:

  • große Fensterflächen
  • Flach- bzw. Warmdachkonstruktionen einschließlich Terrassendächer
  • Der Baukörper ist stark gegliedert, z. B. durch Auskragungen. Damit ergeben sich geometrisch bedingte Wärmebrücken.
  • Unterschiedliche Materialien und Konstruktionen treffen aufeinander. Damit ergeben sich stofflich bedingte Wärmebrücken.
  • In die Außenwand integrierte Rollladenkästen.

Darüber hinaus zeigen die Bauten der Klassischen Moderne noch die folgenden typischen und bauklimatisch relevanten Merkmale:

  • Einfachverglasungen (eine Glasscheibe) in einfachen (heutige Bezeichnung: ungedämmten Metallrahmen) einschließlich Wassersammelrinne unterhalb des Fensters.
  • Zahlreiche und differenzierbare Fensteröffnungsmöglichkeiten.

Für die Fensteröffnungsmöglichkeiten wurden teilweise bemerkenswerte technische Lösungen entwickelt und realisiert, die nicht nur das Fensteröffnen schlechthin, sondern ein sehr differenziertes, spaltweises Öffnen ermöglichten. Dazu gehören auch speziell geschaffene mechanische Vorrichtungen, die selbst das Öffnen und Schließen der Fenster bequem ermöglichen, die für das Lüften notwendig sind, aber manuell nicht direkt erreichbar sind. Diese mechanischen Vorrichtungen dienten nicht nur der Bequemlichkeit, sondern eventuell auch der Gestaltung. Bei Anschluss mehrerer Fenster bzw. Fensterflügel an eine mechanische Vorrichtung ergab sich für alle angeschlossenen Fensterelemente der gleiche Öffnungszustand – für die Gebäudeansicht also eine Art „geordnete Fensteröffnung“(z.B. Bauhaus Dessau, Verglasung der Südseite des Wintergartens von Haus Schminke in Löbau).

Derartige Öffnungsmöglichkeiten finden sich bei den derzeit gebräuchlichen Fensterkonstruktionen nicht einmal ansatzweise, so dass die Realisierung einer Sparlüftung (im Sinne von bauklimatisch erforderlicher Grundlüftung) nicht gegeben ist. Offensichtlich verfügen verschiedentlich heutige Architekten nicht mehr über ein ausreichendes Gespür für eine notwendige und sinnvolle Fensteröffnung.

V. Bestandserfassung und Bestandsbewertung

Bei historischen Gebäuden (also nicht nur bei Baudenkmalen) muss ganz am Anfang der Baumaßnahme eine bauklimatische Bestandserfassung und Bestandsbewertung erfolgen. Die Bestandsbewertung hat dabei besonders die Anforderungen zu berücksichtigen, die aus der künftigen Nutzung resultieren.

Bestandserfassungen und –bewertungen werden gewöhnlich vom Architekten, Statiker, Haustechniker, Restaurator, Denkmalpfleger usw. für das jeweilige Fachgebiet vorgenommen. Und der Bauphysiker/Bauklimatiker? Seine generelle Einbeziehung von Anfang an – ihr muss letztlich der Bauherr zustimmen – ist vielfach nicht üblich. Oder aber nur mit teilweise sehr einseitiger Ausrichtung lediglich auf den Aspekt der Energieeinsparung. Selbstverständlich ist das ein ganz wesentlicher Gedanke. Jedoch an erster Stelle muss doch wohl eine ganz andere Forderung stehen: Vermeidung von klimabedingten Schäden und Problemen nach Abschluss der Baumaßnahme.

Die bauphysikalische Untersuchung von Einzelproblemen (z.B. nach DIN 4108 oder nach Energieeinsparverordnung) kann nicht einmal vom Ansatz her die geistige Grundlage für den Umgang mit einem historischen Gebäude sein.

Zwingend notwendig ist die auf den Raum bzw. das Gebäude bezogene ganzheitliche Betrachtung bauphysikalischer Zusammenhänge. Ziel ist die Ableitung praktisch möglicher baulicher, lüftungstechnischer und heizungstechnischer Maßnahmen, um am Gebäude, seinen Bauteilen und seiner Ausstattung klimabedingte Mängel und Schäden sowie für den Nutzer klimabedingte Unzulänglichkeiten zu vermeiden.

Mit „praktisch möglichen Maßnahmen“ sind die bauklimatisch begründeten Maßnahmen gemeint, deren Realisierung aus der Sicht des Bauherrn, Nutzers, Architekten, Haustechnikers, Denkmalpflegers usw. möglich ist, das wird vielfach ein Kompromiss sein.

Die frühzeitige und systematische Einbeziehung der Ergebnisse von Bestandserfassung und Bestandsbewertung in die Gesamtplanung trägt nicht nur wesentlich zur Qualitätssicherung bei, sie kann sich auch kostendämpfend auf die Investitions- und Betriebskosten auswirken. Deshalb sollten derartige Voruntersuchungen bzw. Grundlagenermittlungen durch einen gezielteren Einsatz von Fördermitteln generell unterstützt werden.

Die nachstehenden Einzelheiten können nur eine Auswahl darstellen.
Bei der Bestandserfassung werden folgende Schwerpunkte gesehen:

    • Zusammenstellung konstruktiver Angaben in Zusammenarbeit mit Architekt, Statiker, Holzschutzfachmann usw.: Gründungsverhältnisse, Konstruktion der Bauteile, Fensterkonstruktion usw.

Erfassung von Besonderheiten: Salzbelastungen, Materialfeuchten usw.

  • Bisherige thermisch-hygrische Beanspruchungen der Konstruktionen: Wie wurden die Räume bisher genutzt? Hierbei interessieren vor allem die ganzjährigen Temperatur- und Feuchteverhältnisse.
  • Wie hat das Gebäude bisher bauklimatisch funktioniert? Sind erkennbare Schäden vorhanden?
    • Wenn JA: Welche Ursachen haben diese Schäden?
    • Wenn NEIN: Warum nicht?

Durch welche Umstände oder bauklimatischen Wirkmechanismen wurden bisher Schäden verhindert, die eigentlich hätten vorhanden sein müssen?
Solche Wirkmechanismen sind u.a.: Fenster als thermische Sollbruchstelle, Kaltdach, wetterseitige Verkleidung von Fachwerkaußenwänden, Unterlüftung von Erdgeschossfußböden, Grundlüftung durch Fensterfugen, Ofenheizung als Lüftungseffekt (Zuführung von Verbrennungsluft). Unter Umständen benötigt der Bauklimatiker spezielle Hilfsmittel, z.B. Klimamessungen (Temperaturen, Luftfeuchte), Simulationsrechnungen, thermografische Aufnahmen, Salzanalysen.

Bei der Bestandsbewertung geht es bereits um das künftige bauklimatische Funktionieren des Gebäudes bei der beabsichtigten Nutzung. Schwerpunkte:

  • Es ist zu prüfen, welche der „historischen“ bauklimatischen Wirkmechanismen übernommen werden können bzw. müssen oder inwieweit sie durch heutige bauliche/ technische Möglichkeiten ersetzbar sind.
  • Es ist zu untersuchen, welche zusätzlichen, bauklimatisch begründeten Maßnahmen notwendig werden und realisierbar sind.
  • Erarbeitung einer bauklimatisch begründeten Heizungs- und Lüftungskonzeption als eine Grundlage bzw. Zuarbeit für die Ausführungsplanung.

Bei einem Bau der Klassischen Moderne können unter Umständen noch nennenswerte Teile der historischen Gebäudetechnik vorhanden sein. Besonders für die Heizungstechnik in den genutzten Räumen gelten zwei Überlegungen: Erhalten als technisches Denkmal und Erhalten als Bestandteil der Raumeinrichtung und Raumgestaltung.

So konnten beispielsweise beim Haus Schminke in Löbau die historischen Gussheizkörper und Ventile erhalten und weitestgehend in die Nutzung einbezogen werden. Bei der Bestandserfassung und –bewertung von Haus Schminke konnte beispielsweise festgestellt werden [2]:

„Aus bauklimatischer Sicht muss Haus Schminke als beeindruckendes Ergebnis einer ganzheitlichen Planung von Nutzung, Wärmeschutz, Heizung und Lüftung beurteilt werden. Die Planungen erfolgten unter anderem auf der Grundlage eines verständnisvollen Zusammenwirkens von Bauherr, Architekt und Haustechnikplaner. Es wurde erreicht, dass sich praktisch keine Feuchteschäden einstellen konnten, in erster Linie bauliche Mittel das bauklimatische Funktionieren des Gebäudes sicherten …

Insgesamt ist das im Haus Schminke realisierte, stark nutzungsgeprägte Heizungskonzept aus bauklimatischer Sicht eine überzeugende und beeindruckende ingenieurtechnische Leistung. Sicherlich erlaubt der heutige Stand der Heizungstechnik andere Detaillösungen, aber die prinzipielle, bauklimatisch begründete Heizungskonzeption würde auch heute nicht anders aussehen. Insofern war und ist Haus Schminke nicht nur eines der wichtigsten Architekturwerke der Klassischen Moderne, sondern gleichzeitig auch eine bauklimatische Glanzleistung mit überzeugender technischer Umsetzung, die ihrer Zeit weit voraus war und auch heute noch von ihrer ganzheitlichen Konzeption her voll bestehen kann.“

Die Veröffentlichungen [2], [3] und [4] enthalten ausführliche Beispiele für eine bauklimatische Bestandserfassung und –bewertung.

VI. Nachträgliche Verbesserung des Wärmeschutzes

Diese Fragestellung ergibt sich wohl bei jedem beheizten historischen Gebäude. Häufig wird dabei „nur“ von Überlegungen zur Einsparung von Heizenergie und Heizkosten ausgegangen. Soweit bei einem historischen Gebäude die Anbringung einer äußeren Wärmedämmung möglich ist sollte sie realisiert werden! Denn durch die damit verbundene Erhöhung der raumseitigen Oberflächentemperatur verringert sich die Gefahr von Feuchteschäden (auch an Holzbalkenköpfen) und insbesondere bei Wohnbauten erhöht sich der Gebrauchswert durch eine Verbesserung der Behaglichkeit. Das sind zwei wesentliche Aspekte für das weitere Überleben des historischen Gebäudes! Dieser Gedanke sollte bei Wohngebäuden unbedingt berücksichtigt werden, bevor von der Ausnahmeregelung des § 24 der Energieeinsparverordnung (Ausgabe 2007) Gebrauch gemacht wird. Außerdem verringert die Wärmedämmung den Heizenergieverbrauch – das ist selbstverständlich ein wichtiger Aspekt, aber er muss sich in die vorstehend erläuterten bauklimatischen Zusammenhänge einordnen lassen. Bei einer historischen Außenwand (s. oben) ist mit einem leistungsfähigen Wärmedämmstoff von etwa 3 bis 4 cm Dicke ein U-Wert von ca. 0,7 W/(m²/) erreichbar. Die ersten Zentimeter der Wärmedämmung haben die größte Wirkung!

Für Innendämmung steht seit einiger Zeit ein Material zur Verfügung (Calciumsilikatplatten), das ohne Dampfsperre verarbeitet werden kann. Vielfach genügt eine Dicke von 2 bis 3 cm, um Wärmebrücken zu entschärfen (z.B. Fensterlaibungen)

VII. Schlussfolgerungen für die Instandsetzung und künftige Nutzung

  1. Bei der Vielzahl der Wärmebrücken und deren Erscheinungsformen bei Bauten der Klassischen Moderne wird es im Allgemeinen nicht möglich sein, sie insgesamt durch bauliche und/oder gebäudetechnische Maßnahmen auszugleichen. Dazu kommt, dass derartige Maßnahmen teilweise auch zu nennenswerten gestalterischen Veränderungen führen können. Soweit jedoch eine Verbesserung des Wärmeschutzes möglich ist, sollte sie erfolgen, s. Abschnitt „Verbesserung des Wärmeschutzes“.
  2. Verschiedentlich wird behauptet, dass durch eine sogenannte Temperierung alle bauklimatischen Probleme gelöst werden können. Daran darf man glauben, aber es ist wohl doch nur Aberglaube. Die Temperierung entspricht nicht der bauklimatischen Grundforderung (s. oben), außerdem sind mit ihrer Realisierung zumeist außerordentlich brutale Eingriffe in die historische Bausubstanz verbunden . . .
  3. Um eine unzulässige Kondensation von Raumluftfeuchte an den kritischen Stellen zu vermeiden, muss die Taupunkttemperatur der Raumluft entsprechend niedrig gehalten werden. Das ist vor allem durch gezieltes Lüften erreichbar. Das bedingt die Beibehaltung der historischen Fensterfugenlüftung als Grundlüftung, ergänzt durch die vom Nutzer vorzunehmende kurzzeitige Fensteröffnung als sogenannte Stoßlüftung. Eine lufttechnische Anlage bewirkt Grund- und Stoßlüftung.
    In den kältesten Monaten Januar und Februar ist die absolute Feuchte der Außenluft am geringsten und damit ist auch die erforderliche Lüftung am geringsten. Der notwendige Luftwechsel in der kalten Jahreszeit für eine Wohnung liegt etwa bei 0,3-fach pro Stunde.
  4. Eine eventuelle Kondensation von Raumluftfeuchte muss am Fenster erfolgen. Dafür müssen die Wassersammelrinnen erhalten und gewartet werden. Unter Berücksichtigung vorhandener Wärmebrücken (Fensteranschlag!) ist zu prüfen, ob die Fensterkonstruktion auf einen Wärmedurchgangskoeffizienten von U 3 W/(m²/K) realisierbar ist (u.a. gestalterische Veränderung ?).
  5. Die erforderliche Lüftung ist von der Nutzung und der damit verbundenen Feuchteabgabe bzw. Feuchteentwicklung im Raum abhängig. Eine Wohnungsnutzung ist dabei weit problematischer als eine Büronutzung. Die tägliche Nutzungszeit einer Wohnung beträgt im Allgemeinen 24 Stunden, dazu kommen die die Raumluftfeuchte erhöhenden feuchteintensiven Vorgänge wie Kochen, Duschen usw.
    Eine Büronutzung o.ä. kommt also einer bauwerksgerechten Nutzung sehr entgegen. Der Nutzer muss gezielt heizen und lüften, das gilt auch für ungenutzte Räume. Eine mittlere Gebäudetemperatur von etwa 13 … 15 °C darf nicht unterschritten werden.
  6. Zumeist befinden sich unter den Fenstern fensterbreite Heizkörper ohne abdeckende Fensterbretter oder mit gelochten / geschlitzten Fensterbrettern. Dadurch kann die vom Heizkörper ungehindert aufsteigende warme Luft nicht nur die kalte Fensterfläche zumindest teilweise ausgleichen, sondern auch die im Fensterbereich befindlichen Wärmebrücken (Fensteranschlag, Rollladenkasten) entschärfen.
  7. Soweit Jalousien vorhanden sind, sind sie beizubehalten, denn sie sind für den winterlichen und sommerlichen Wärmeschutz unverzichtbar.
    Die Einscheibenverglasung im Metallrahmen hat einen U-Wert von ca. 5,5 W/(m²K). Durch Schließen der Außenjalousien und eventuell vorhandener Innenvorhänge ergibt sich ein U-Wert von ca. 2,5 W/(m²/K). Unter winterlichen Verhältnissen verbessert sich damit nicht nur die Behaglichkeit im Fensterbereich, sondern durch Verringerung der Wärmeverluste wird auch Heizenergie eingespart.
  8. Der übliche Einsatz von Rauhfasertapete kann bei Außenwänden historischer Gebäude im Bereich von Wärmebrücken (z.B. Außenwandecken im Schlafzimmer, Sockelbereich von Erdgeschosswohnungen, Fensteranschlag und –laibung) den Befall mit Schimmelpilz begünstigen. Das gilt gleichermaßen auch für andere Oberflächenbehandlungen mit nennenswerten Anteilen von organischen Substanzen.
  9. Der Einsatz gedichteter Fenster (Aspekt Energieeinsparung) greift nicht nur in die Lüftung des Gebäudes ein, sondern auch in dessen Feuchtehaushalt und kann zu Feuchteschäden einschließlich Schimmelpilzbildung durch kondensierende Raumluftfeuchtigkeit führen.
  10. Die Wärmedämmung der Warmdachkonstruktion ist generell zu verbessern. Ähnlich wie bei den Jalousien geht es letztlich auch bei dieser Dachkonstruktion um den winterlichen und sommerlichen Wärmeschutz. Anzustreben ist eine hochwertige Wärmedämmung von 10 bis 15 cm Dicke. Dabei ist eine mögliche gestalterische Veränderung im Traufbereich zu beachten.
  11. Das „richtige Umgehen“ des Nutzers mit einem historischen Gebäude und seinen technischen Möglichkeiten resultiert zu einem großen Teil aus Erfahrungen. Um diese zu gewinnen, ist sicherlich ein Zeitraum von etwa anderthalb Jahren erforderlich.

VIII. Abschließende Bemerkung

Im Rahmen des vorstehenden Beitrages konnten bei weitem nicht alle bauklimatischen „Feinheiten“ der Bauten der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts. vorgestellt und erläutert werden, die bei der Instandsetzung und Sanierung zu berücksichtigen sind. Das liegt u.a. auch daran, dass außer den generellen Problemen jedes historische Gebäude besonders im Zusammenhang mit seiner künftigen Nutzung noch ganz eigene, hausgemachte Probleme hat – jedes historische Gebäude ist auch in bauklimatischer Hinsicht ein Unikat.

Deutlich werden sollte die Bedeutung bauklimatischer Aspekte und ihre notwendige systematische Einbeziehung in die Planungen von Anfang an. Grundlage dafür muss eine bauklimatische Bestandserfassung und –bewertung des jeweiligen Gebäudes sein.

Literatur:

[1] Lutz/Jenisch/Klopfer/Freymuth/Krampf/Petzold: Lehrbuch der Bauphysik, 5., überarb. Auflage 2002, B.G.:Teubner Stuttgart Leipzig Wiesbaden

[2] Graupner, Klaus; Lobers, Falk: Bauklimatische Aspekte – Heizungs- und Lüftungskonzept, in: Burkhardt, Berthold (Herausgeber): Scharoun. Haus Schminke. Die Geschichte einer Instandsetzung. 2002 Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, und Karl Krämer Verlag Stuttgart (aus der Reihe ‚Baudenkmale der Moderne’)

[3] Graupner, Klaus: Bauklimatische Aspekte als wesentliche Faktoren für Bestandserhaltung und Neunutzung, in: Gebeßler, August: Gropius. Meisterhaus Muche/Schlemmer. Die Geschichte einer Instandsetzung. 2003 Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg, und Karl Krämer Verlag Stuttgart (aus der Reihe ‚Baudenkmale der Moderne’)

[4] Graupner, Klaus; Lobers, Falk: Historische Gebäude – Bestandserfassung und Bestandsbewertung, in: Tagungsband des 12. Bauklimatischen Symposiums der Technischen Universität Dresden, 2007

Kommentare sind geschlossen.